Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Daniel standen vor ihm, flankiert von einem tattrigen Butler, einer fülligen Köchin und zwei verängstigten Dienstmädchen.
»Wo ist Beth?«, verlangte er zu wissen.
»Ich weiß es nicht, Mylord.« Die Köchin verschränkte die Arme vor ihrer üppigen Brust. »Sie trifft sich mit dem widerwärtigsten Gesindel, weil sie ein viel zu großes Herz hat. Können diese Leute nicht arbeiten? Das tät mich mal interessieren.«
Ihre Worte sagten ihm nichts, dennoch wusste Ian, dass sie wichtig waren. »Wovon reden Sie? Welche Leute?«
»Mrs Ackerley ist eine Wohltäterin. Hilft den Huren Babylons. Eine kam sogar in meine Küche, stellen Sie sich das vor! Und nun sind Ihre Ladyschaft und Katie fort. In einer Droschke.«
»Wohin?«
»Woher soll ich das wissen?«
Ian strafte sie mit seinem Blick, woraufhin die Köchin kleinlaut stammelte: »Tut mir leid, Eure Lordschaft. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Irgendjemand muss sie doch gesehen haben«, knurrte Cameron. »Wir fragen die Leute auf der Straße, ob sie gehört haben, wie sie dem Kutscher Anweisung gegeben hat.«
»Ich weiß, wo sie hin ist«, sagte Ian grimmig. Verdammt noch mal. »Curry, ruf mir eine Droschke. Auf der Stelle.«
Er schob sich durch die Umstehenden und lief die Treppe hinunter. Curry folgte ihm auf dem Fuße und erteilte in seinem breiten Cockney Anweisungen.
»Ich begleite dich«, sagte Cameron.
»Ich auch«, sagte Daniel, der mit ihnen Schritt gehalten hatte.
»Den Teufel wirst du«, antwortete Cameron. »Du hältst hier die Stellung, falls sie zurückkommt.«
»Aber Vater … «
»Tu einmal, was man dir sagt, du Teufelsbraten.«
Cameron schnappte sich Hut und Handschuhe, bevor der tattrige Butler sie ihm reichen konnte. Ian machte sich erst gar nicht die Mühe. Mit finsterer Miene folgte Daniel ihnen bis zur Tür, blieb aber im Haus.
»Woher weißt du, wo sie ist?« Cameron stülpte sich den Hut auf den Kopf und schritt auf die Droschke zu, die sich auf Currys Pfiff hin zu ihnen in Bewegung gesetzt hatte.
Ian stieg ein, Cameron folgte ihm. »High Holborn«, rief er dem Kutscher zu, und das Gefährt setzte sich in Bewegung.
»High Holborn?«, fragte Cameron besorgt.
»Beth spielt dort Detektiv.« Verflixte Närrin . Wenn ihr etwas geschieht …
Ihm war es unmöglich, den Gedanken zu Ende zu denken. Er konnte sich nicht vorstellen, was er fühlen würde, fände er Beth wie Sally und Lily mit einem Messer im Herzen tot auf.
Cameron legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wir werden sie finden.«
»Warum ist sie nur so stur und ungehorsam?«
Cameron bellte vor Lachen. »Weil sich die MacKenzies immer eigensinnige Frauen aussuchen. Hast du etwa ernsthaft geglaubt, Beth würde dir gehorchen? Dass sie sich an ihr Ehegelöbnis hält?«
»Ich habe geglaubt, ich könnte sie beschützen.«
»Sie hat sogar Hart Paroli geboten – was sich nur die wenigsten Frauen trauen würden.«
Was genau genommen zeigte, wie eigensinnig Beth war. Ian verfiel in Schweigen und wünschte, die Pferde würden schneller laufen.
Sie fuhren durch dichten Verkehr, denn aus unerfindlichen Gründen waren die Londoner heute scharenweise unterwegs. Die Kutsche rollte langsam durch die Park Lane, vorbei am Haus des vermaledeiten Lyndon Mather. Kurz hing Ian der Hoffnung nach, die zwölfhundert Guineen, die er ihm für die Schale gezahlt hatte, würden den Mann ruhigstellen. Beth konnte nicht noch mehr Ärger gebrauchen.
Endlich bog die Droschke in die Oxford Street ein und fuhr östlich Richtung High Holborn. Fünf Jahre hatte Ian das unscheinbar wirkende Holborn-Haus unweit der Chancery Lane nicht mehr gesehen. Doch die Erinnerungen strömten schmerzlich auf ihn ein, als er und Cameron ohne anzuklopfen eintraten. Im Haus hatte sich nichts verändert. Ian lief durch dieselbe mit dunklem Holz vertäfelte Vorhalle wie damals, öffnete dieselbe Buntglastür, die in den Flur und das mit poliertem Nussbaumholz verkleidete Treppenhaus führte.
Das Dienstmädchen war neu und glaubte offenbar, die Brüder würden erwartet. Am liebsten wäre Ian an ihr vorbei nach oben gestürmt, doch Cameron legte ihm die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf.
»Wir gehen behutsam vor«, flüsterte er Ian ins Ohr. »Wenn sie uns dann nicht helfen, nehmen wir den Laden auseinander.«
Ian nickte, Schweiß rann ihm den Rücken hinab. Schon beim Betreten des Hauses hatte ihn das Gefühl beschlichen, beobachtet zu werden, und diese Ahnung wurde nun, da sie mit dem Dienstmädchen die
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