Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Augen im letzten Moment doch noch geschlossen. Nun schlief er tief und fest, während Beth die Sorgen umtrieben.
Ian wollte die Wahrheit vielleicht nicht hören, aber an der Tatsache, dass Sally Tate und Lily Martin ihr Leben verloren hatten, war nun einmal nicht zu rütteln. Beth kannte selbst genügend leichte Mädchen, um zu wissen, dass ihr Leben oft kurz war und brutal endete, sofern sie nicht gerade einen reichen Beschützer fanden. Gerieten sie an den falschen Freier, konnte es passieren, dass sie bewusstlos geprügelt oder – im schlimmsten Fall – getötet wurden, ohne dass es eine Menschenseele kümmerte. Sie waren eben nur Huren.
Selbst Mädchen, die in einem vornehmen Bordell Unterschlupf fanden, konnten wieder auf der Straße landen, wenn ihre Schönheit eines Tages verblasste. Mit einem Beschützer waren die Mädchen besser dran, aber natürlich nur, wenn der nicht zu grob mit ihnen umging.
Nur der Gnade Gottes und der Güte von Thomas Ackerley und Mrs Barrington hatte Beth es zu verdanken, dass sie nicht auch so ein Mädchen geworden war.
Fellows war es gleichgültig, dass die beiden Frauen gestorben waren, er wollte nur Rache an den MacKenzies nehmen. Ian litt darunter, dass Sally, Lily und seine Mutter gestorben waren, doch in erster Linie wollte er seinen Bruder beschützen. Den Bruder, der ihn aus der Hölle gerettet hatte.
Beth knirschte mit den Zähnen. Verflucht sei der verstorbene Herzog, dass er den Sohn hatte wegsperren lassen, weil er etwas gesehen hatte, was er nicht hätte sehen sollen. Verflucht sei auch Hart, dass er Ian in seine Machtspiele verstrickte. Und Ian für seine ewige Dankbarkeit gegenüber Hart.
Anfangs hatte Beth nicht begreifen können, warum Isabella Mac verlassen hatte, da sie ihn doch so augenscheinlich liebte. Nun verstand sie es besser. Beth hatte keine Ahnung, was genau Mac getan hatte, um Isabella so aufzubringen, andererseits war auch er ein sturköpfiger MacKenzie. Reichte das etwa nicht? Dagegen hatte eine süße Debütantin wie Isabella nicht die geringste Chance gehabt.
Beth stand auf und zog sich an. Bei Mrs Barrington hatte sie gelernt, sich schlicht und zügig anzukleiden, da sie sich Tag und Nacht um die alte Dame hatte kümmern müssen.
Ian schlief weiter. Er lag vollkommen entspannt auf dem Bauch, die Augen geschlossen. Weich strich das Licht der Lampe über seinen festen Hintern, den Rücken und die kräftigen Schultern. Er war ein großer und schöner Mann, so stark und doch so verletzlich. Hart hatte ihn so beschrieben. Und hatte dennoch vor ihm klein beigegeben.
Ich liebe dich, Ian MacKenzie. Ihr blutete das Herz.
Still verließ sie die Kammer und ging nach unten. Sie sah sich nach allen Seiten um, bevor sie am Ende der Halle durch eine Tür ins Dienstbotentreppenhaus verschwand.
Die Köchin war emsig bei der Arbeit und räumte die Reste des Abendessens fort, das sie für Cameron und Daniel gekocht hatte. Als Beth die warme Küche betrat, strahlte die Köchin wie in alten Zeiten.
»Schön, wenn jemand so mit Appetit isst«, sagte die Köchin. »Alles ham se aufgegessen und dann noch Nachschlag verlangt. Mehr kann man sich als Köchin nicht wünschen. Und Sie sind noch nicht einmal zum Essen heruntergekommen. Soll ich Ihnen ’nen Teller aufwärmen?«
»Nein, vielen Dank, Mrs Donnelly. Ich bin auf der Suche nach Katie.«
»Sie sind jetzt die Dame des Hauses. Warum ham Se nich geklingelt?«
»Haben Sie sie gesehen?«, fragte Beth ungeduldig.
»Sitzt auf der Treppe zur Spülküche.« Die Köchin machte ein abschätziges Gesicht. »Mit einer, die nich viel besser is. So was lass ich nich in meine Küche.«
Beths Herz machte einen freudigen Sprung. »Schon gut. Ich nehme mich ihrer ein wenig an.«
»Sie haben ein viel zu weiches Herz, ja, ja. Katie is so schlecht nich, aber die da is ein ausgemachtes Luder und hält sich auch noch für ’ne feine Dame. Um die müssen Sie sich nicht kümmern.«
Daraufhin verschwand Beth wortlos durch die Waschküche zur Treppe, die zur Straße hinaufführte. Katie saß auf den Stufen, ihr Gesicht glühte vor Zorn. »Hier ist sie!«
»Danke, Katie. Du kannst jetzt gehen.«
»Den Teufel werde ich tun. Der traue ich nicht über den Weg, mit der lass ich Sie bestimmt nicht allein.«
Die fragliche Dame trug die Nase, die zudem spitz und üppig gepudert war, tatsächlich recht hoch. Überhaupt hatte sie mit Puder nicht gespart, auch nicht mit Rouge. An Hals und Ohren glitzerten Diamanten. Die junge Frau
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