Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Treppen hinaufstiegen, noch stärker.
Das Mädchen stieß die Doppelflügel der Salontür auf, und Ian trat ein. Er blieb so abrupt stehen, dass Cameron in ihn hineinstolperte.
In einem der Plüschsessel saß Hart, eine Zigarre in der einen, ein Kristallglas mit Whiskey in der anderen Hand. Angelina Palmer, Harts dunkelhaarige Mätresse, die mit ihren fast fünfzig Jahren noch immer eine schöne Frau war, saß auf der Sessellehne, ihre Hand ruhte zärtlich auf Harts Schulter.
»Ian«, begrüßte Hart seinen Bruder ruhig. »Ich habe dich bereits erwartet. Setz dich. Ich möchte mit dir reden.«
Beth ballte die behandschuhten Hände, während sich die Kutsche träge von Whitehall bis zur High Holborn mühte. Lloyd Fellows, der ihr in der engen Kutsche gegenübersaß, warf ihr böse Blicke zu. Katie hockte eingezwängt neben Beth.
»Warum glauben Sie, dass ich das Haus damals nicht genau unter die Lupe genommen habe?«, fragte Fellows.
»Vielleicht haben Sie ein Detail übersehen. Das wäre nur verständlich. Sie waren außer sich, denn es ging um die MacKenzies.«
»Ich bin nie außer mir. Außerdem wusste ich anfangs nicht, dass die MacKenzies mit dem Fall zu tun hatten. Und wenn es diesem aufgeregten Dienstmädchen nicht herausgerutscht wäre, hätte ich auch nie davon erfahren.«
»Mir kommt es verdächtig vor, dass es dem Mädchen einfach so herausgerutscht sein soll und Sie daraufhin Ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf Hart und seinen Bruder gerichtet haben. Ich glaube, das hat Ihr Urteilsvermögen beeinträchtigt.«
Fellows kniff die Augen zusammen. »So einfach war es nun auch wieder nicht.«
»Doch, ich glaube schon. Sie waren so froh, endlich etwas gegen Hart MacKenzie in der Hand zu haben, dass es Ihnen nicht in den Sinn kam, außer ihm und Ian auch noch andere Leute in Betracht zu ziehen. Gerade hatte ich angefangen, Sie etwas zu mögen, Mr Fellows, doch nun sind meine Sympathien dahin.«
Fellows hob den Blick an die Decke und sagte: »Lieber Gott, wo bekommt diese Familie nur solche Frauen her? Zankteufel, allesamt.«
»Ich weiß nicht, ob Isabella von dieser Bemerkung angetan wäre«, sagte Beth. »Zudem habe ich gehört, dass Harts Frau still und sanftmütig gewesen sein soll.«
»Und wohin hat sie das gebracht?«
»Eben, Inspektor. Deshalb sagen Isabella und ich unsere Meinung auch geradeheraus.«
Fellows sah aus dem Droschkenfenster. »Sie können die MacKenzies nicht retten, das wissen Sie hoffentlich. Denen ist nicht mehr zu helfen. Selbst wenn sie an diesem Mord nicht schuld sein sollten, haben sie genügend anderes auf dem Kerbholz. Wo sie gehen und stehen, hinterlassen sie Zerstörung und Elend.«
Wir bringen nur Unglück.
»Vielleicht kann ich sie nicht vor sich selbst retten«, antwortete Beth. »Aber zumindest werde ich versuchen, die MacKenzies vor Ihnen zu retten.«
Fellows presste die Lippen aufeinander und ließ den Blick abermals aus dem Fenster gleiten. »Verfluchtes Weib«, murmelte er.
Fassungslos blickte Ian von Hart zu Mrs Palmer. »Wo ist Beth?«, fragte er.
Hart hob die Brauen. »Nicht hier.«
Ian machte einen Schritt auf die Tür zu. »Dann habe ich keine Zeit für eine Unterredung mit dir.«
»Aber ich will ja gerade über Beth reden.«
Ian machte abrupt kehrt. Mrs Palmer war aufgestanden und hinter das Sofa getreten, um Whiskey in ein sauberes Glas zu schenken. Hart fasste sie mit dem Wohlwollen eines Mannes ins Auge, der mit dieser Frau schon oft das Bett geteilt hatte.
»Beth versteht es einfach nicht«, sagte Ian.
»Da bin ich mir nicht sicher«, widersprach Hart. »Du hast eine überaus scharfsinnige und, mit Verlaub gesagt, sehr beharrliche Frau geheiratet. Ob das für unsere Familie gut oder schlecht ist, weiß ich noch nicht.«
»Verdammt gut, würde ich meinen«, mischte sich Cameron ein, der jetzt hinter Ian auftauchte. »Ich gehe sie suchen«, verkündete er und verschwand.
Ian hätte ihn gern begleitet, doch auf Cameron war Verlass. Und wenn er wollte, konnte Cameron noch Furcht einflößender sein als Hart.
Flüchtig ließ Ian den Blick über Hart streifen und konzentrierte sich dann wieder auf Mrs Palmer, die noch immer mit dem Whiskey hantierte. »Mir ist gleich, was du von ihr hältst. Beth ist meine Frau, und ich werde sie vor dir beschützen.«
»Doch wer beschützt sie vor dir, Ian?«
Ians Gesichtszüge verhärteten sich. In dem Bleikristallglas, das Mrs Palmer ihm jetzt brachte, fing sich das Licht. Es funkelte so blau wie Beths
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