Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Augen, ein seltenes Farbspiel, das nur bei einem bestimmten Lichteinfall zustande kam.
Er war ganz in den Anblick der Farben vertieft, die bernsteinfarbene, fast goldene Färbung des Whiskeys, das Blau des Glases. Gutes Kristall fing das Licht ein und brach es in die Farben des Regenbogens auf, nur das Blau schien tief ins Glas eingeschlossen.
»Ian.«
Er riss den Blick vom Glas los. Inzwischen war Mrs Palmer wieder zu Hart zurückgekehrt. Sie beugte sich über die Rückenlehne und fuhr mit den Händen über das Revers seines schwarzen Mantels.
»Was?«, fragte Ian.
»Ich habe gesagt, ich möchte mit dir reden.« Hart streckte seine langen Beine aus. Von allen Brüdern hatte sein Haar den dunkelsten Rotton, in einer schwungvollen Welle war es nach hinten gekämmt.
Allgemein galt Hart MacKenzie als gut aussehend, doch Ian war anderer Meinung. Eiskalt konnte der Blick in den Augen seines Bruders werden, unerbittlich der Gesichtsausdruck. Bei ihrem Vater war es genauso gewesen.
Früher war Hart der einzige Mensch auf der Welt gewesen, der den verängstigten kleinen Ian hatte beruhigen können. Wenn Ian durcheinander war oder sich unter vielen Menschen aufhielt, von deren Worten er keines mehr verstand, nahm er instinktiv Reißaus. Er floh von der abendlichen Familientafel, verließ die Familienbank während des Gottesdienstes und flüchtete aus dem Schulzimmer, in das sein Vater ihn zu stecken versuchte. Jedes Mal hatte Hart ihn gefunden, besänftigend auf ihn eingeredet oder still bei ihm gesessen, bis er sich beruhigt hatte.
Alles, was Ian in diesem Moment wollte, war, durch das Haus zu laufen und laut nach Beth zu rufen, doch Harts Blick bedeutete ihm, dass es sinnlos wäre.
Ian setzte sich und schaute unbehaglich zu Mrs Palmer hinüber.
»Lass uns allein, Liebes«, sagte Hart zu ihr. Angelina Palmer nickte, ihr Lächeln wirkte routiniert. Sie küsste Hart auf den Mund, der ebenfalls zu einem Lächeln verzogen war.
»Selbstverständlich«, sagte sie. »Ruf mich, wenn du mich brauchst.«
Als sie sich zum Gehen anschickte, fasste er kurz nach ihrer Hand und ließ seine Finger durch ihre gleiten. Sie waren lange Zeit ein Paar gewesen und hatten die Höhen und Tiefen seines Lebens gemeinsam erlebt – seine kurze und glücklose Ehe, das Erbe des Herzogtums und seinen Aufstieg in der Politik. Und als Hart sich entschlossen hatte, auf Abstand zu gehen, schien Mrs Palmer das widerspruchslos akzeptiert zu haben.
Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie Ian noch einen Blick zu. Auch wenn er die Augen abgewandt hatte, spürte er ihren eisigen Blick und ihre … Furcht?
Dann wandte sie sich um und verschwand.
»Wir haben nie darüber gesprochen, nicht wahr?«, fragte Hart, nachdem die Tür leise geschlossen worden war.
Genau hier hatten vor fünf Jahren vier Männer am Spieltisch gesessen und geredet und gelacht, während Ian abseits im Lehnsessel Zeitung gelesen hatte. Die Männer am Tisch hatten keine Notiz von ihm genommen, was ihm nur recht war. Und dann hatte Sally einen Stuhl zu ihm herangezogen, sich über die Lehne gebeugt und zu flüstern begonnen.
Harts Stimme drang jäh in Ians Gedanken ein. »Am besten, man redet nicht darüber, so denke ich jedenfalls.«
Ian nickte. »Ganz meine Meinung.«
»Aber du hast Beth alles erzählt.«
Ian fragte sich, woher Hart das wissen konnte. Hatte er Beth aufgespürt und es aus ihr herausgepresst? Oder hatte er Spione in ihrem Haus?«
»Wenn du ihr etwas antust, bringe ich dich um.«
»Ich würde ihr nie etwas antun, Ian. Das verspreche ich dir hoch und heilig.«
»Du quälst gern andere. Genießt die Macht. Hast es gern, wenn sie sich im Staub vor dir wälzen, um dir die Stiefel zu lecken.«
In Harts Augen zuckte es. »Heute scheinst du dich nicht gerade in Zurückhaltung zu üben.«
»Ich habe immer getan, was du mir gesagt hast, weil du dich um mich gekümmert hast.«
»Und ich werde mich immer um dich kümmern, Ian.«
»Weil es dir gut zupass kommt. In dieser Hinsicht bist du wie Vater.«
Harts Stirn umwölkte sich. »Du darfst gern auf mir herumhacken, aber vergleiche mich nicht mit Vater. Er war kalt und grausam und schmort hoffentlich in der Hölle.«
»Er hatte Tobsuchtsanfälle wie ich. Nur dass er sie nie zu beherrschen gelernt hat.«
»Und du schon?«, fragte Hart leise.
Ian rieb sich die Schläfen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich sie immer im Griff habe. Aber ich habe Curry und Beth und meine Brüder, die mir dabei helfen. Vater
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