Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
gepflegt.
Fellows zog den Riegel der Kutschentür zurück, doch noch bevor er diese öffnen konnte, wurde sie ihm auch schon entrissen, und ein Paar starke Hände packten Beth, die sich unerwartet ihrem Mann gegenübersah. Ians Augen glühten vor Wut, wortlos begann er, sie mit sich zu ziehen.
Beth widersetzte sich ihm. »Warte. Wir müssen dort hinein.«
»Nein, du musst nach Hause.«
Vor dem Haus stand noch eine zweite Kutsche. Die Vorhänge waren zugezogen, das Wappen an der Tür verhängt.
»Wessen Kutsche ist das?«
»Harts.« Ian zog sie mit sich zur Kutsche. »Sein Kutscher wird dich zum Belgrave Square bringen, wo du dann bleiben wirst.«
»Wie ein gehorsames Frauchen? Ian, hör mir zu!«
Er riss den Kutschenschlag auf, was den Blick auf die prunkvolle, in Gold gehaltene Innenausstattung freigab, die selbst einem königlichen Wohnzimmer zur Ehre gereicht hätte. »Wenn ich nach Hause fahren soll, dann nur mit dir.«
Ian hob Beth hoch und setzte sie auf die weich gepolsterte Bank. »Nicht, solange Fellows hier herumschnüffelt.«
»Er ist nicht gekommen, um Hart zu verhaften.«
Ian schlug die Tür zu und wandte sich ab, Beth öffnete sie wieder und beugte sich vor. »Deinetwegen ist er auch nicht hier. Er ist hergekommen, um den Tatort noch einmal zu untersuchen und Mrs Palmer zu befragen. Auf meine Bitte.«
Ian fuhr herum. Seine hochgewachsene, kräftige Gestalt füllte die Türöffnung aus, mit seiner riesigen Hand stützte er sich am Rahmen ab. In der Dunkelheit konnte Beth weder sein Gesicht noch das Glitzern in seinen Augen sehen.
»Du hast ihn hergebeten?«
»Ja, es gibt noch eine Reihe anderer Verdächtiger. Allen voran Mrs Palmer. Immerhin ist es ihr Haus, sie hätte Gelegenheiten genug gehabt.«
»Mrs Palmer«, wiederholte Ian. Seine Stimme war ohne jeden Ausdruck, sodass Beth nicht wusste, was er davon hielt.
Beth stieg aus der Kutsche. »Wir müssen ins Haus.«
Ians Brust versperrte ihr den Weg, mit seinen großen Händen hielt er sie an den Armen fest. »Keineswegs gehe ich mit dir in ein solch unzüchtiges Haus.«
»Lieber Ian, ich bin mit Huren aufgewachsen. Ich fürchte mich nicht vor ihnen.«
»Das ist mir gleich.«
»Ian.« Beth versuchte, ihn beiseite zu schieben, doch da hätte sie genauso gut gegen eine Steinwand anrennen können.
»Fahr nach Hause, Beth. Du hast schon genug getan.« Er schob sie zurück in die Kutsche. »Und um Himmels willen, bleib dort.«
Aus dem Haus ertönte ein Schrei, laut und schrill.
»Das war Katie«, keuchte Beth.
Ian verschwand im Dunkeln. Fluchend kletterte Beth aus der Kutsche und lief ihm hinterher. Sie hörte noch die Rufe des Kutschers, doch der war zu sehr damit beschäftigt, die Pferde zu beruhigen, als dass er ihr hätte nachsetzen können.
Am Haus brannte kein Licht, also huschte Beth durch die Dunkelheit bis zur Haustür, die Ian sperrangelweit offen gelassen hatte. Beth trat ein und lauschte.
Die Diele war hell erleuchtet, aber menschenleer. Sie lief durch eine elegante, holzvertäfelte Halle auf die Treppe zu, die zu den oberen Etagen führte. Aus den oberen Stockwerken war Geschrei zu hören: Katie, Ian und Inspektor Fellows. Beth folgte dem Lärm.
Sie hatte den Fuß kaum auf die erste Stufe gesetzt, als sie oben jemanden den Flur entlanglaufen hörte, die Schritte wurden durch den weichen Teppich gedämpft. Dann wurde leise eine Tür geschlossen. Wollte sich jemand heimlich davonstehlen, womöglich vor dem Inspektor fliehen?
Beth rannte jetzt die Treppen hinauf und lief den Flur entlang bis zu einer verschlossenen Tür an dessen Ende. Dahinter verbarg sich die Treppe für die Dienstboten, die nach unten führte. Schnelle Schritte erklangen auf den Stufen, jemand flüchtete.
»Ian!«, schrie Beth. »Inspektor, helfen Sie mir!«
Ihre Rufe gingen in dem von oben kommenden Gebrüll und Geschluchze unter. Verflixt.
Beth raffte ihre Röcke und lief die Treppe hinunter. Ihre Verfolgungsjagd führte sie am Erdgeschoss und an der Küche vorbei. Sie spürte kalte Nachtluft, als irgendwo vor ihr eine Tür geöffnet wurde. Beth hatte die letzte Treppenstufe erreicht und sah eine dunkelhaarige Frau, die auf den Hof hinausschlüpfte.
Beth blieb ihr dicht auf den Fersen. Eine Pforte führte zu dem Verschlag zwischen den Häusern, wo die Fäkaliensammler den stinkenden Dung abholten. Die Frau kämpfte noch mit dem Riegel, als Beth sie endlich eingeholt hatte.
Beherzt packte Beth sie an den Handgelenken. Die Frau, in dessen Gesicht
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