Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Geständnis und teile ihnen mit, wo Sie sind.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, schluchzte Beth und legte all ihre Verzweiflung in die Stimme. »Sie lassen zu, dass man Ian für ein Verbrechen hängt, das er nicht begangen hat.«
»Hart, ich versuche Hart zu retten, mir ist gleich, wer stattdessen gehängt wird. Mir ging es immer nur um Hart.«
Mitleidlos zerrte sie Beth weiter. Beths größte Angst war es, dass Mrs Palmer sie allein und verletzt in der Gosse zurückließ. Beth kannte die hiesigen Bewohner, innerhalb kürzester Zeit hätte man sie bis aufs Hemd beraubt und für tot liegen gelassen. Vielleicht würde eine gute Seele einen Schutzmann herbeirufen, aber wahrscheinlich wäre es dann schon zu spät.
»Bitte«, versuchte sie es. »Lassen Sie uns in … in eine Kirche gehen. Dort kann ich Zuflucht finden, und Sie können fliehen. Dann wüsste ich nicht, wo Sie sind.«
Mrs Palmer knurrte leise. »Ich weiß nicht, warum die solche faden Frauen heiraten. Das bleiche Ding, das Hart geehelicht hat, hat ihn zerstört. Dass diese dumme Gans auch noch sterben musste, hat ihm schwer zugesetzt. Und diese Schlange davor, die ihm den Laufpass gegeben hat, war nicht viel besser. Das Herz hat sie ihm gebrochen. Ich hasse die Weiber für das, was sie meinem Hart angetan haben.«
Hass klang aus ihrer Stimme, und sie riss heftig an Beths Arm. Nun verstand Beth, was Sylvia gemeint hatte: Diese Frau würde alles für den Mann tun, den sie liebte. Lügen, morden und sogar am Galgen baumeln.
Noch ein paar Ecken, dann wären sie am Ziel. Da. »Da ist eine Kirche.« Beth machte sich schwer in Mrs Palmers Arm und deutete auf Thomas’ alte Kirche. »Bitte, bringen Sie mich dorthin. Lassen Sie mich nicht in dieser Hölle zurück. Dort werde ich wahnsinnig, ich weiß es.«
Mrs Palmer brummte etwas Unverständliches, schleppte sie aber Richtung Kirche. Statt den Haupteingang zu nehmen, ging sie hinten herum zwischen den Häusern durch. Der kleine Kirchhof wurde seitlich von den umliegenden Häusern und vom Pfarrhaus selbst eingegrenzt. Damals, als Beth hier noch gelebt hatte, stand die Hintertür der Kirche immer offen, da Thomas vom Pfarrhaus zur Sakristei gern die Abkürzung über den Kirchhof genommen und stets seinen Schlüssel vergessen hatte.
Mrs Palmer packte den Türgriff und öffnete die Tür. Sie schubste Beth in den engen Durchgang, der zur Sakristei führte. In ihrer Benommenheit versetzten die vertrauten Gerüche von Kerzen, Staub, Büchern und Talar Beth sofort zurück in die Zeit als Pfarrersfrau. In jenen Tagen war ihr Leben von Frieden und Ordnung geprägt gewesen; wie Perlen auf einem Band folgten die Kirchenzeiten aufeinander. Advent, Weihnachten, Dreikönigsfest, Fastenzeit, Ostern, Pfingsten, Dreifaltigkeitsfest. Stets wusste man genau, was man zu lesen, zu essen und zu tragen hatte, welcher Blumenschmuck und welche Farben in die Kirche und auf den Altar gehörten. Für das Freudenfest zu Ostern erhob man sich schon im Morgengrauen, ging am Weihnachtsabend erst spät zu Bett. Kein Fleisch in der Fastenzeit, ein Fest zur Fastnacht. Morgengebet, Abendandacht und sonntags dann der Hauptgottesdienst.
Für eine Orgel hatte das Geld nie gereicht, also hatte Thomas auf seiner Stimmpfeife den Ton vorgegeben, und die Gemeinde hatte sich dann a cappella durch die Lieder gekämpft, die sie ohnehin auswendig konnte.
Du kannst nicht tiefer fallen
als nur in Gottes Hand,
die er zum Heil uns allen
barmherzig ausgespannt.
Im Geist hörte Beth noch einmal den gleichmäßigen Rhythmus der langsamen Weise, vernahm das hohe Trällern der alten Mrs Wetherby aus der ersten Reihe.
Die Kirche war leer. Alles schien unverändert, die geweißten Wände, das hohe Chorpult rechts vom Altar. Beth fragte sich, ob die Türscharniere des Chorpults noch immer so quietschten wie damals, als Thomas die schmalen Stufen emporgeeilt war und die halbhohe Tür geöffnet hatte.
Die Trompete des Jüngsten Gerichts , so hatte er das Quietschen genannt. Nun müssen sie der Predigt des Pfarrers wohl oder übel lauschen . Als Beth vorschlug, die Scharniere einmal ölen zu lassen, hatte Thomas geantwortet: Dann gibt es ja nichts mehr, was sie nach der Predigt weckt.
Alles in dieser kleinen Kirche erinnerte sie an ihr altes Leben mit Thomas, an ihr bescheidenes Glück. Doch das war nun schon lange her, und Thomas’ Stimme war nur noch ein fernes Echo. Nun war sie allein und verletzt und fürchtete, den Mann, den sie von Herzen liebte, nie
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