Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Polizei dort angetroffen zu werden.« Ian schüttelte den Kopf. »Ich glaube ihm nicht. Wenn er sie nicht getötet hätte, wäre er nicht davongelaufen. Dann hätte er das ganze Haus auseinandergenommen, um den Schuldigen zu finden.«
»Möglich«, sagte Beth mit ihrer ruhigen, sicheren Stimme. »Wenn ich Hart nicht kennengelernt hätte, wäre ich wohl auch der Ansicht, er hat sie getötet und dann das Weite gesucht. Doch ich habe ihn kennengelernt, und eines weiß ich sicher: Hätte er vorgehabt, Sally zu töten, dann hätte er dafür gesorgt, dass du weit weg bist. Auf jeden Fall hätte er alles getan, dich herauszuhalten. Deshalb kann es Hart keinesfalls gewesen sein.«
»Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Ja.« Beth drehte ihm den Rücken zu und ging ein paar Schritte, um nachzudenken. »Und die Polizei würde genauso denken wie du, ebenso die Geschworenen und der Richter. Aber die kennen Hart nicht. Nie würde er riskieren, dass du ins Gefängnis oder zurück in die Heilanstalt gebracht wirst. Er will nicht, dass du jemals wieder eingesperrt wirst.«
»Weil er mich und mein verfluchtes Gedächtnis braucht.«
»Nein, weil er dich liebt.«
Beth war rückhaltlos naiv. Obwohl sie sich in den Londoner Slums auskannte, selbst bettelarm und verzweifelt gewesen war, glaubte sie immer noch an das Gute im Menschen, das Gute in den MacKenzies. Nicht zu fassen!
»Hart kennt keine Skrupel«, sagte Ian. »Ich habe dir gesagt, dass ich nicht lieben kann. Hart kann es ebenso wenig, nur dass er sich darum keine Gedanken macht. Er schreckt vor nichts zurück, nicht einmal vor einem Mord, selbst wenn einer seiner Brüder den Preis dafür zahlen muss.«
Beth schüttelte den Kopf, ihr Haar glänzte im Licht der Gaslampen. »Du musst dich irren.«
Ian lachte unbarmherzig. »Wir tun uns alle mit der Liebe schwer. Ich habe dir doch gesagt, dass wir nur Unglück bringen.«
»Ian, hast du in all den Jahren nicht einmal überlegt, wer es sonst noch gewesen sein könnte? Denk dir Hart einmal weg.«
»Natürlich habe ich das«, entgegnete Ian gereizt. Mit der Hand fuhr er sich durchs Haar. »Ich habe alle möglichen Szenarien von vorne bis hinten durchgespielt. Dabei habe ich die anderen Männer, Mrs Palmer, die Mädchen und selbst einen Einbrecher in Betracht gezogen. Eine Zeitlang habe ich sogar gefürchtet, ich könnte es gewesen sein, aber ich kann mich an nichts erinnern.«
»Was ist mit Lily Martin? Warum hast du sie in Covent Garden versteckt?«
»Sie hatte auch ins Zimmer geschaut und Hart und Sally zusammen gesehen. Sie hat mir geschworen, nicht gesehen zu haben, dass Hart Sally erstochen hat, aber ich wusste nicht, ob sie eventuell log. Ich wollte nicht riskieren, dass sie der Polizei gegenüber irgendetwas sagt, also habe ich Curry geschickt, um sie vorher aus dem Weg zu schaffen. Doch ich habe sie nicht gut genug versteckt.«
»Glaubst du im Ernst, dass Hart sie vor ein paar Wochen entdeckt und umgebracht hat?«
»Ja.«
Wieder ging Beth im Zimmer hin und her. »Du liebe Güte, was für ein Schlamassel.«
»Das muss es nicht sein. Wenn Fellows aufhört, seine Nase in unsere Angelegenheiten zu stecken, können wir weitermachen wie zuvor.«
»Nein, das könnt ihr nicht.« Beth kam auf ihn zu. »Es zerreißt dich. Und es zerreißt auch Hart und den Rest eurer Familie. Alles, was du sagst, ergibt zwar einen Sinn, aber es muss noch eine andere Erklärung geben. Hart glaubt, du hättest es getan. Darum ist er auch aus dem Haus gestürzt, um nach dir zu suchen – um sicherzugehen, dass du fort warst und es nicht getan haben konntest. Stell dir nur seinen Schreck vor, als er erfuhr, dass du zum Zeitpunkt des Mordes noch im Haus warst.«
Ian blinzelte und begegnete kurz ihrem Blick. Er liebte ihre Augen, die so blau waren, dass er sich darin verlieren wollte.
Er senkte den Blick. »Weil er mich für verrückt hält? Er hält mich zwar für verrückt, aber du irrst dich hier.«
»Warum seid ihr MacKenzies nur so stur? Der Mörder muss in Sallys Zimmer eingedrungen sein und sie umgebracht haben, während Hart und sein Kammerdiener mit Ankleiden beschäftigt waren. Hart mag ja skrupellos sein, aber jemand anders ist noch viel skrupelloser gewesen.«
Ein Gespinst aus Erinnerungen schloss ihn ein. Erinnerungen, gegen die er schon seit zwei Jahrzehnten vergebens ankämpfte. Das Bild von Harts Händen um Sallys Hals wurde von einem anderen Bild überlagert. »Ich glaube, dass Hart es war, weil er mich so an Vater
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