Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
Gesicht. Erkannt hatte sie seit fast einem Jahr niemand mehr.
Vor dem Kino standen die Menschen Schlange. Sie stellte sich an, eine Gruppe amerikanischer Austauschschüler reihte sich hinter ihr ein. Deren breiter Akzent ging ihr auf die Nerven. Sie konnte sich nicht entsinnen, wann sie das letzte Mal Englisch gesprochen hatte. Und es war ihr auch herzlich egal.
Trotz der Kälte schwitzten ihre Hände, und sie schob sie tiefer in die Parkataschen. Anfangs hatte sie sich dagegen gesträubt, die Kritiken von Sunday Morning Eclipse zu lesen, aber irgendwann war es einfach über sie gekommen. Die Besprechungen waren positiver gewesen, als sie erwartet hatte. Ein Filmkritiker hatte ihre Darstellung als »ein überraschend vielversprechendes Debüt« gewertet, ein anderer auf die »brodelnde Chemie zwischen Koranda und Savagar« abgehoben. Dabei wusste nur sie, wie einseitig diese Chemie gewesen war.
Inzwischen hatte sie diese Episode in ihrem Leben abgehakt. Sie nahm jeden Job an, der sich ihr bot, und wenn sie nicht arbeitete, besuchte sie Vorlesungen an der Universität. Vor zwei Monaten, an der Université d’Avignon, hatte sie eine kurze Affäre mit einem sympathischen deutschen Studenten gehabt. Schließlich sollte Jake nicht ihre einzige sexuelle Erfahrung bleiben. Nicht lange danach hatte sie das merkwürdige Gefühl gehabt, dass Alexi ihr im Nacken säße, und war von Avignon nach Grenoble weitergereist.
Eine junge Französin, die vor ihr in der Schlange stand, alberte mit ihrem Freund herum. »Hast du denn gar keine Angst, ich könnte heute Nacht kein Interesse mehr an dir haben? Nach zwei Stunden Jake Koranda auf der Leinwand?«
Er betrachtete das Filmplakat. »Wenn hier einer Angst haben muss, dann du. Immerhin bekomme ich Fleur Savagar zu sehen. Jean-Paul hat sich den Film letzte Woche angesehen und redet seitdem nur noch über ihren Superbody.«
Fleur duckte sich tiefer in ihren Parkakragen. Sie musste den Film erst selbst sehen.
Sie setzte sich in die letzte Reihe. Nach dem Vorspann zeigte die Kamera das weite, flache Weideland von Iowa. Staubige Stiefel knirschten über einen gekiesten Weg. Unvermittelt kam Jakes Gesicht auf die Leinwand. Sie hatte ihn einmal geliebt, aber das glutvolle Feuer war zu kalter Asche erloschen.
Die ersten Szenen flackerten vorüber, und dann stand Jake vor dem Farmhaus in Iowa. Ein junges Mädchen sprang von einer Verandaschaukel. Die beiden Kuchenstücke, die Fleur vorhin in sich hineingestopft hatte, klumpten sich in ihrem Magen zusammen, als sie beobachtete, wie sie sich in Matts Arme stürzte. Spontan dachte sie an seinen trainierten Brustkorb, die weichen Lippen. Sein Lachen, seine Witze, seine innigen Umarmungen, als wollte er sie nie mehr loslassen.
Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Sie konnte nicht länger in Grenoble bleiben. Sie musste abreisen. Morgen. Heute Abend. Sofort.
Das Letzte, was sie hörte, als sie aus dem Kino lief, war Jakes Stimme: »Seit wann bist du eigentlich so hübsch, Lizzie?«
Nichts wie weg. Da half nur Flucht, die Flucht vor sich selbst.
Alexi saß in dem Ledersessel hinter seinem Schreibtisch und steckte sich eine Zigarette an, die letzte von den fünf, die er sich jeden Tag erlaubte. Jeden Freitagnachmittag um exakt drei Uhr bekam er die Berichte, wartete jedoch immer, bis er abends allein war, bevor er sie inspizierte. Die Fotos vor ihm waren relativ identisch mit den anderen aus den vergangenen Jahren. Hässlicher Herrenschnitt, fadenscheinige Jeans, abgetretene Lederboots. Und fett. Für jemanden, dessen Schönheit eigentlich ihren Zenit erreicht hatte, sah sie abartig aus.
Nach sechs Monaten hatte sie begonnen, Vorlesungen zu besuchen. Anfangs hatte er herumgerätselt, wieso sie ausgerechnet Fächer wie Buchhaltung, Vertragsrecht, Anatomie oder Soziologie wählte. Irgendwann hatte er die Logik kapiert. Sie besuchte nur Veranstaltungen, die in riesigen Vorlesungssälen stattfanden, weil dort kaum Gefahr bestand, dass sie erwischt würde, zumal sie nirgends als ordentliche Studentin eingeschrieben war. Das hätte sie sich gar nicht leisten können – den Geldhahn hatte er nämlich gleich zugedreht.
Sein Blick schweifte über die schlecht bezahlten Aushilfsjobs, mit denen sie sich in den letzten zwei Jahren über Wasser gehalten hatte: als Spülhilfe, Stallausmisterin, Kellnerin. Bisweilen arbeitete sie für Fotografen, natürlich nicht als Model – das konnte sie sich bei der Figur abschminken -, sie half als
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