Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
Jacketts, woraus die dunklen Gläser hervorschimmerten. »Dieser dumme Streit zwischen dir und Belinda hat lange genug gedauert. Mütter und Töchter haben nun mal dauernd Probleme miteinander. Das ist noch lange kein Grund, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.«
»Halt dich da raus.«
»Werd endlich erwachsen, Fleur. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, und kein Mann ist es wert, dass zwei Frauen einander spinnefeind sind, die früher weltallerbeste Freundinnen waren.«
Aha, so lief der Hase. Alle glaubten, dass sie und Belinda sich wegen Jake gefetzt hätten. Dabei dachte sie kaum noch an ihn. Gelegentlich sah sie das eine oder andere Foto von ihm in irgendwelchen Magazinen. Für gewöhnlich funkelte er dann den Fotografen an, der in seine Privatsphäre eingedrungen war. Bisweilen war er auch mit irgendeiner Beauty abgelichtet, dann krampfte sich ihr Magen unangenehm zusammen. Als würde sie unerwartet auf eine tote Katze oder einen verwesten Vogel stoßen.
Mit Jakes Filmkarriere ging es steil bergauf, für Sunday Morning Eclipse hatte er den Oscar für das beste Drehbuch bekommen. Trotzdem hatte er aufgehört zu schreiben. Wieso, wusste keiner, und Fleur interessierte es auch nicht sonderlich.
Gretchen war ungnädig in ihrer Verstimmung. »Sieh dich doch bloß an. Du bist zweiundzwanzig Jahre alt, ein verhuschtes Etwas, das am Rande des Existenzminimums dahinvegetiert. Dein Gesicht ist dein Kapital, und du arbeitest fleißig daran, es zu ruinieren. Wenn du dich nicht endlich aufraffst, bist du irgendwann alt und allein und musst von der Fürsorge leben. Das kann es doch nicht sein, oder? Bist du so selbstzerstörerisch veranlagt?«
War sie das? Der schlimmste Schmerz war vorüber. Inzwischen konnte sie sich sogar Zeitungsfotos von Belinda und Alexi ansehen. Natürlich war ihre Mutter zu ihm zurückgekehrt. Alexi war einer der einflussreichsten Männer Frankreichs, und Belinda brauchte das Rampenlicht wie andere die Luft zum Atmen. Manchmal trug Fleur sich mit dem Gedanken an eine Rückkehr nach New York, aber was sollte sie dort machen? Zumal sie nie wieder würde modeln können. Das Übergewicht war ihr Schutzpanzer, und sie ließ sich lieber treiben, als dass sie die Initiative ergriff. Besser, sie vergaß das Mädchen, das beschlossen hatte, von allen geliebt zu werden. Was interessierte sie die Liebe anderer Menschen? Sie brauchte niemanden, nur sich selbst.
»Lass mich in Frieden«, sagte sie zu Gretchen. »Ich komme nicht mit.«
»Ich fahre erst, wenn …«
»Geh.«
»So kannst du nicht weitermachen …«
»Verschwinde!«
Der Blick der Agenturchefin glitt über das schäbige Herrenhemd und die ausgebeulte Jeans. Fleur fühlte förmlich ihr vernichtendes Urteil. Gretchen Casimir entschied, dass sie die Mühe nicht wert war.
»Du bist ein Loser«, sagte sie. »Du versinkst in Selbstmitleid. Ohne Belinda bist du ein Nichts.«
Gretchen hatte Recht. Fleur hatte keinen Ehrgeiz, keine Pläne, keinen Stolz – nur ihren Überlebenswillen. Ohne Belinda war sie ein Nichts.
Eine Stunde später verließ sie den Fotoladen und nahm den nächsten Zug, der Strasbourg verließ.
Irgendwann feierte sie ihren dreiundzwanzigsten Geburtstag – allein. Eine Woche vor Weihnachten packte sie schließlich ihren Seesack, steckte ihren Eurail-Pass ein und fuhr von Lille nach Wien. Zwar konnte sie nur in Frankreich legal arbeiten, aber sie musste für ein paar Tage weg, sonst wäre ihr die Decke auf den Kopf gefallen.
Sie entschied sich für Wien, nachdem sie Garp und wie er die Welt sah gelesen hatte. Eine Stadt mit Bären auf Einrädern und einem Mann, der auf Händen laufen konnte, hielt sie für eine gelungene Abwechslung. Sie fand ein billiges Zimmer in einer alten Wiener Pension mit einem käfigartigen Aufzug mit vergoldeten Gitterstäben. Die Deutschen hätten den Lift im Krieg zerstört, erzählte ihr der Portier. Nachdem sie ihren Seesack sechs Etagen hoch geschleppt hatte, öffnete sie die Tür zu einer winzigen Kammer mit wackligen, wurmstichigen Möbeln. Welchen Krieg mochte er wohl gemeint haben, überlegte sie sarkastisch. Sie schälte sich aus ihren Sachen, zog sich die Decke über den Kopf und schlief ein, derweil der Wind an den Fenstern rüttelte und das Aufzugungetüm durch die Stockwerke rasselte.
Am nächsten Morgen besichtigte sie Schloss Schönbrunn und gönnte sich ein preiswertes Mittagessen im Leopold am Rooseveltplatz. Ein Kellner stellte einen Teller mit winzigen
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