Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
Geburtstag, liebe Megan, zum Geburtstag viel Glück!«, singen wir.
Mum trägt einen Schokoladenkuchen ins Wohnzimmer, auf dem eine rosa Kerze brennt.
Megan, die heute ein Jahr alt wird, lehnt in einem speziellen, aus Schaumstoff hergestellten Hochstuhl, der ihre Wirbelsäule stützt. Es ist gut, dass ihr Geburtstag im Winter ist, denn ihr rosa Kleidchen verbirgt die Beinschienen und ihre Strickjacke die Armschienen. Wenn ich sie so in ihrem Stuhl sehe, versuche ich mir einzureden, dass sie ganz normal ist und noch viele Geburtstage feiern wird – so wie Nick und ich.
Ich schneide den Kuchen, und Mum fordert mich auf, mir etwas zu wünschen. Normalerweise wünsche ich mir, eine berühmte Autorin zu werden wie Enid Blyton, aber heute wünsche ich mir, dass Megan ewig lebt.
Abwechselnd öffnen wir ihre Geschenke. Es sind ein Tiermobile für ihr Schlafzimmer, glitzernde Haarspangen und Bücher mit Kinderliedern.
Megan deutet auf die Seite mit dem Lied von Bobby Shafto : »Da!«
Tante Pearl, Mums Schwester aus Dorset, liest es ihr vor. Sie hat langes dunkles Haar mit lila Strähnchen und trägt Zigeunerkleider und hochhackige Stiefel. Nick und ich fahren in den Ferien gern zu Tante Pearl, weil sie einen Hund namens Snoop hat und in einem reetgedeckten Cottage wohnt, in dessen riesigem Garten wir wunderbar spielen können. Von meinem Schlafzimmer aus sieht man sogar eine Pferdekoppel. Ich nehme mir vor, dass ich ebenfalls in einem Cottage auf dem Land wohnen werde, sobald ich groß bin. Tante Pearl hat auch immer lustige Untermieter. Als wir das letzte Mal bei ihr waren, haben wir einen Japaner namens Luke kennengelernt, der uns am Küchentisch Origami beibrachte. Ihr derzeitiger Mitbewohner ist Opernsänger. Tante Pearl erzählt, dass sie jeden Morgen von seiner wunderbaren Stimme geweckt wird.
Etwas früher am Tag habe ich zufällig gesehen, wie Tante Pearl Mum einen Umschlag gegeben hat. Er war von Granny.
»Megan braucht die Unterstützung unserer Mutter, nicht ihr verdammtes Geld«, hatte Mum verärgert gesagt. In dem Umschlag steckte eine Fünfzigpfundnote. »Warum besucht sie uns nicht? Schämt sie sich?«
Als wir spielen, finde ich es unfair, dass meine kleine Schwester uns nur zusehen kann. Aber wann immer ich sie anschaue, lächelt sie. Ich glaube, Megan ist das wahre Wunder in unserer Familie.
*
Das folgende Jahr verläuft glücklich. Bei den Mahlzeiten sitzen wir zusammen und essen selbst gemachte Fischpasteten. Wir erzählen Megan von der Schule und fragen, was sie in ihrer Spielgruppe gemacht hat. Unser Dad hat sich angewöhnt, früher von der Arbeit heimzukehren. Er kommt in die Küche und nimmt Megan in die Arme, um sie im Bad im Obergeschoss zu baden. Manchmal helfe ich ihm. Wir lassen Krokodile, Haie und Enten im schaumigen Wasser schwimmen, und Dad rollt seine Ärmel hoch, um Megans Kopf und Rücken in der Wanne zu stützen. Nach dem Bad muss man sie in angewärmte Handtücher hüllen und sofort wieder anziehen. Megan wird jeden Abend zur gleichen Zeit zu Bett gebracht. Manchmal höre ich mitten in der Nacht Mums Schritte, wenn sie in Megans Zimmer geht, ummeine kleine Schwester vorsichtig umzudrehen. Morgens legt Mum sie auf ihr Schaffell und saugt ihr mit einem Gerät, das sie über Nase und Mund legt, den angesammelten Schleim ab. Sie erklärt mir, dass die Maschine Megan nicht wehtut. Lieber soll ich von dem Gerät als etwas denken, das ihr hilft, bei uns zu bleiben. Alles im Haus wird sterilisiert. Mum putzt ununterbrochen.
An den Wochenenden verlassen wir London. Vor Megans Geburt haben Nicholas und ich uns am Sonntag meist mit Schulfreunden getroffen, aber jetzt machen wir oft Tagesausflüge.
In den Ferien drängen wir uns alle in Dads Jeep und fahren ans Meer. In Dads Auto ist es heiß, und es riecht nach Curry, aber mir macht es Spaß, aus der Stadt hinauszufahren und auf Entdeckungstour zu gehen. Mum wickelt Megan dann in viele Decken ein und scherzt, sie sähe aus wie eine ägyptische Mumie.
»Zu warm«, protestiert Megan manchmal, aber Mum erklärt, es sei lebenswichtig für sie, sich nicht zu erkälten.
Auf dem Weg zum Meer spielen wir im Auto oder singen. Meine kleine Schwester hat eine Stimme wie ein Engel. Der Arzt hat uns erklärt, dass sich ihr Gehirn auf die Stimme konzentriert, weil es sich nicht um das Erlernen von Bewegungen kümmern muss. Megan ist sprachlich viel weiter entwickelt, als Nicholas und ich es in ihrem Alter waren. Schon vor ihrem zweiten Geburtstag
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