Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Öl, Moses

Kein Öl, Moses

Titel: Kein Öl, Moses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
darin, daß unser Physikprofessor eine Krawatte mit blauen Tupfen trug und minutenlang - ohne Unterbrechung, aber dafür mit geschlossenen Augen - reden konnte. Er hatte schadhafte Zähne. Die obere Zahnreihe stand vor. Wir nannten ihn »das Pferd«, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt. Ich werde es gelegentlich einer Kontrolle unterziehen.
    »Also? Woher weißt du das?« fragte Amir aufs neue.
    »Frag nicht so dumm. Es gibt unzählige Beweise dafür. Wenn es die Sonne wäre, die sich um die Erde dreht, statt umgekehrt, würde man ja von einem Erdsystem sprechen und nicht von einem Sonnensystem.«
    Amir scheint keineswegs überzeugt. Ich muß ihm eindrucksvollere Beweise liefern, sonst kommt er auf schlechte Gedanken. Er ist ja, das soll man nie vergessen, rothaarig.
    »Schau her, Amir.« Ich ergreife einen weißen Radiergummi und halte ihn hoch. »Nehmen wir an, das ist der Mond. Und die Schachtel mit den Reißnägeln ist die Erde.«
    Jetzt bin ich auf dem richtigen Weg. Die Schreibtischlampe übernimmt die Rolle der Sonne, und Papi führt mit einer eleganten Bewegung den Radiergummi und die Schachtel mit den Reißnägeln um die Schreibtischlampe herum, langsam, langsam, kreisförmig, kreisförmig...
    »Siehst du den Schatten? Wenn der Radiergummi sich gerade in der Mitte seiner Bahn befindet, liegt die Schachtel mit den Reißnägeln im Schatten... «
    »So?« Die Stimme meines Sohnes klingt zweiflerisch. »Sie liegt aber auch im Schatten, wenn du die Lampe hin und her drehst und die Schachtel auf dem Tisch liegen läßt. Oder?«
    Man sollte nicht glauben, wie unintelligent ein verhältnismäßig erwachsenes Kind fragen kann.
    »Konzentrier dich gefälligst!« Ich erhebe meine Stimme, auf daß mein Sohn den Ernst der Situation erfasse. »Wenn ich die Lampe bewege, würde der Schatten ja vollständig auf die eine Seite fallen und nicht auf die andere.«
    Es ist nicht der Schatten, der jetzt fällt, sondern es fällt die Schachtel mit den Reißnägeln, und zwar auf den Boden. Der Teufel soll sie holen.
    Ich bücke mich, um die über den ganzen Erdball verstreuten Reißnägel aufzulesen.
    Bei dieser Gelegenheit fällt mein Blick auf meines Sohnes Socken.
    »Du siehst wieder einmal wie ein Landstreicher aus!« bemerke ich tadelnd.
    Was nämlich meines Sohnes Socken betrifft, so hängen sie bis über die Schuhe herunter. Das tun sie immer. Ich habe noch nie ein so schlampiges Kind gesehen.
    Während ich das Material aus dem Universum rette, richte ich mich langsam auf und versuche mich an die Theorien von Galileo Galilei zu erinnern, der diese ganze Geschichte damals an irgendeinem Königshof oder sonstwo ins Rollen gebracht hat. Das weiß ich sehr gut, weil ich die gleichnamige Aufführung im Kammertheater gesehen habe, mit Salman Levisch in der Titelrolle. Er hat dem Großinquisitor, dargestellt von Abraham Ronai, heroischen Widerstand geleistet, ich sehe es noch ganz deutlich vor mir. Leider bedeutet das jetzt keine Hilfe für mich.
    Auch der Himmel hilft mir nicht. Ich bin ans Fenster getreten und habe hinausgeschaut, ob sich dort oben etwas bewegt.
    Aber es regnet.
    Ich schicke meinen Sohn in sein Zimmer zurück und empfehle ihm, über seine dumme Frage selbst nachzudenken, damit er sieht, wie dumm sie ist.
    Amir entfernt sich beleidigt.
    Kaum ist er draußen, stürze ich zum Lexikon und beginne fieberhaft nach einem einschlägigen Himmelsforscher zu blättern... Ko... Kopenhagen... da: Kopernikus, Nikolaus, deutscher Astronom (1473 - 1543) ... Eine halbe Seite ist ihm gewidmet. Eine volle halbe Seite und kein einziges Wort über die Erddrehung. Offenbar haben auch die Herausgeber des Lexikons vergessen, was man ihnen in der Schule beigebracht hat.
    Ich begebe mich in das Zimmer meines Sohnes. Ich lege meinem Sohn mit väterlicher Behutsamkeit die Hand auf die Stirne und frage ihn, wie es ihm geht.
    »Du hast überhaupt keine Ahnung von Astronomie, Papi«, läßt mein Sohn sich vernehmen.
    Höre ich recht? Ich habe keine Ahnung? Ich?! Unverschämt, was so ein kleiner Bengel sich erfrecht!
    Die Erinnerung an Salman Levisch gibt mir neue Kraft: »Und sie bewegt sich doch!« erkläre ich mit Nachdruck. »Das hat Galileo vor seinen Richtern gesagt. Kapierst du das denn nicht, du Dummkopf? Und sie bewegt sich doch!«
    »In Ordnung«, sagt Amir. »Sie bewegt sich. Aber wieso um die Sonne?«
    »Um was denn sonst? Vielleicht um die Großmama?«
    Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirne. Mein väterliches Prestige steht

Weitere Kostenlose Bücher