Kein Öl, Moses
sind wegen Schulz hergekommen... Wo ist Schulz...«
Der Vorsitzende bat flehentlich um Ruhe:
»Sofort nach Herrn Karpats Ausführungen wird Gershom Schulz das Podium besteigen, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!«
»Dummes Gewäsch... Leere Versprechungen... Man hält uns zum besten... Ich wollte ins Kino gehen, und jetzt sitz ich da... Schulz, Schulz, Schulz... «
Da der Lärm keine Anstalten traf, sich zu legen, wurde der Installateur Stux ausgesandt, um Schulz zu holen. Die Spannung wuchs ins Unerträgliche. Wenn Stux ohne Schulz zurückkäme, dann - darüber mußte sich wohl auch das Präsidium im klaren sein - wäre es das Ende der Partei.
Nach schier endlosen Minuten öffnete sich unter atemloser Stille des gesamten Auditoriums die Türe.
Ein Massenseufzer der Erleichterung wurde hörbar, als neben Stux die wohlvertraute Gestalt des populären Schlagersängers erschien. Die Damen richteten ihre Frisuren, ich richtete meine Krawatte, allgemeines Händeklatschen setzte ein, das von Schulz mit artigen Verbeugungen und Kußhändchen quittiert wurde. Dann, auf eine devot einladende Gebärde des Vorsitzenden, nahm er am Präsidiumstisch Platz. Die Atmosphäre hatte sich gewaltig gebessert.
Das ermutigte Herrn Karpat, die weltpolitische Lage zu analysieren. Niemand hörte ihm zu. Man sah nur Schulz, man erging sich in Bemerkungen über seine Herkunft, über sein Äußeres, über sein Alter. Aber auch das hielt nicht lange vor. Neue Schulz-Rufe wurden laut.
Karpat suchte zu retten, was zu retten war:
»...wenn es uns gelingt, inmitten dieser prekären Balance der Großmächte unsere Unabhängigkeit zu bewahren, wenn wir keinem wie immer gearteten Druck nachgeben, komme er aus westlicher oder östlicher Richtung, dann wird Herr Schulz in wenigen Minuten mit seinen Darbietungen beginnen, und wir, meine Damen und Herren, werden im Kreis der Völker einen geachteten und gesicherten Platz...«
»Schluß! Aufhören!« erklang es ringsumher. »Genug! Wir wollen Schulz, wir wollen Schulz!«
Der Vorsitzende verschaffte sich Gehör: »Das musikalische Programm wird wie geplant den Abend beschließen.«
»Nicht beschließen... So lange können wir nicht warten... Jetzt gleich... Küß mich, Liebling...«
Die Menge ließ sich nicht zum Schweigen bringen und trotzte dem Vorsitzenden einen Kompromiß ab: Schulz durfte auf Vorschuß ein Lied zum besten geben und sang mit unwiderstehlichem Charme »Hab mich lieb, Baby«. Als eine Zugabe gefordert wurde, berief sich der Vorsitzende auf die Abmachung, derzufolge jetzt wieder Karpat das Wort hätte. Karpat begann sofort zu analysieren. Bei der Analyse unserer isolierten Position im Weltsicherheitsrat brach erneuter Protest aus: »Jetzt ist wieder Schulz an der Reihe... Schulz soll singen... Gib uns >Oj Eilat<, Schulz...«
Schulz gab uns »Oj Eilat« und machte uns damit wieder ein wenig für Karpats Analysen empfänglich. Die Sache pendelte sich ein: eine Nummer von Schulz, drei Minuten Außenpolitik, dann wieder Schulz, und so weiter, obwohl wir auf Karpats Anteil am Programm lieber verzichtet hätten. Schließlich begab sich eine dreiköpfige, ad hoc gebildete Delegation zum
Podium und ersuchte den Vorsitzenden, Schulz eine halbe Stunde ohne außenpolitische Unterbrechung singen zu lassen. Man würde dann den Ausführungen Karpats ruhig zuhören, auch wenn sie noch so langweilig wären.
Der Vorsitzende lehnte ab und unterstellte uns mit beleidigter Stimme, daß wir offenbar nur Gershom Schulz hören wollten und uns für nichts anderes interessierten. Das traf zwar zu, aber wir bestritten es heftig und drohten, für eine andere Partei zu stimmen, wenn er Schulz nicht sofort singen ließe.
Schulz winkte ab und verkündete, daß er jetzt leider gehen müsse, um noch bei zwei anderen Veranstaltungen anderer Parteien aufzutreten.
Die Versammlung löste sich auf, ohne daß wir erfahren hätten, für welche Partei er soeben aufgetreten war. Es ist ein unangenehmer Gedanke, daß wir vielleicht irrtümlich für diese Partei stimmen könnten.
Das Fernseh-Taxi
Das Symbol des 19. Jahrhunderts war die goldene Taschenuhr, komplett mit dicker Kette und sinnlosem Anhänger. Unser eigenes Jahrhundert eröffnete seine segensreiche Tätigkeit im Zeichen des Aspirins, ging dann zum Bolschewismus über und entschied sich in den fünfziger Jahren für das Fernsehen. Aus den Statistiken überentwickelter Länder geht hervor, daß je drei Fernsehapparate einen Menschen besitzen: einer das
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