Kein Öl, Moses
Gespräch auf die Polizeistation gebeten.
Der Rabbi, eine patriarchalische Erscheinung von imposanter Größe, konnte auf Vorhalt nicht bestreiten, daß Moses gesagt hatte: »Du sollst wiedergeben, was du mit Gewalt genommen hast (Leviticus 5, 23)«, hielt diesem Satz jedoch einen anderen entgegen: »Ich will euch heimsuchen, spricht der Herr, und euch bestrafen nach der Frucht eures Tuns (Jeremia 21, 14)« und stützte ihn mit zahlreichen Auslegungen rabbinischer Autoritäten.
Obwohl der Inspektor, der die Einvernahme leitete, von Rabbi Zalmans umfassender Gelehrsamkeit tief beeindruckt war, mußte er in seiner amtlichen Eigenschaft darauf hinweisen, daß Banküberfälle nach den gültigen Gesetzen nicht verübt werden dürfen und daß im übrigen alle Banken, ausnahmslos alle, Geld gegen Zinsen verleihen.
»Alle Banken interessieren mich nicht«, entgegnete Rabbi Zalman. »Mich interessiert die Bank meines Schwagers ->denn siehe, dieser Mann ist ein Anverwandter meines Stammes (Ruth 2, 20) »Ganz richtig«, stimmte der Inspektor zu. »Trotzdem können wir nicht darüber hinwegsehen, daß der Bestohlene in aller Form die Rückerstattung seines Eigentums verlangt hat. Das Gesetz -«
»Im Buch der Chroniken«, unterbrach Rabbi Zalman, »heißt es ausdrücklich, daß >vom Gelde in den Tagen Salomos keinerlei Rechnung gelegt< wurde. Warum sollte ein Forklewitsch plötzlich Rechnung legen?«
Der Inspektor blieb vor diesem unwidersprechlichen Argument ein paar Sekunden lang stumm, dann faßte er sich und entließ den Rabbi mit der Bitte, sich die ganze Geschichte noch einmal in Ruhe zu überlegen.
Draußen wurde Rabbi Zalman von jubelnden Anhängern empfangen, die ihn auf die Schultern hoben und im Triumph nach Hause trugen.
Jetzt griff die öffentliche Meinung ein. Die Frage, ob der Banküberfall gerechtfertigt war oder nicht, wurde auch in der Presse lebhaft diskutiert.
Antireligiöse Kreise sahen ihren Weizen blühen:
»Ein klarer Fall von Raub«, verkündeten sie. »Ein Banküberfall am hellichten Tag. Ein krimineller Akt, begangen von orthodoxen Tätern.«
Das religiöse Lager leistete Widerstand: »Schön und gut. In Gottes Namen und um der Diskussion willen geben wir zu, daß es sich um einen Raubüberfall handelt. Aber wer war der Räuber? Ein Fremder? Ein Unbekannter? Vielleicht gar ein Nichtjude? Nein! Es war der Schwager des Geldbesitzers, also ein naher Verwandter. Damit ist erstens bewiesen, daß das Geld in der Familie bleibt. Zweitens, und immer vorausgesetzt, daß überhaupt ein Raub verübt wurde: Warum wurde er verübt? Aus Geldgier? Aus Geiz? Aus Eigensucht? Im Gegenteil! Es geschah aus völlig unpersönlichen Motiven, es geschah zur Ehre des Ewigen, gepriesen sei Sein Name! Die Bank hat gesündigt, die Bank hat gegen die heiligen Gebote verstoßen, die Bank muß büßen.«
Die Würde dieser Entgegnung fand großen Anklang, nur bei Theodor Forklewitsch nicht, dessen Bankhaus sich immer unaufhaltsamer dem Konkurs näherte. Die Klienten gerieten in Panik, hoben ihre Guthaben ab und schienen es auf eine Bankrotterklärung des bis dahin bestens beleumundeten Finanzmannes abgesehen zu haben. Forklewitsch nahm einen Anwalt und bombardierte die Polizei mit Eingaben, die Räuber stellig zu machen und ihm sein Geld zu verschaffen.
Die Polizei tat ihr Bestes, um sich aus der prekären Situation herauszuhalten, erhielt jedoch vom Justizministerium den Auftrag, Nachforschungen »in angemessenen Grenzen« durchzuführen.
Alle zutage geförderten Spuren führten zur »Plonitzer Synagoge«.
Als die Untersuchungskommission dort eintraf, wurde sie von einem Sendboten der Stadtverwaltung von Tel Aviv aufgehalten: Es wären Gespräche mit der religiösen Fraktion im Gang, und bis zur Klärung der Sachlage sollten keine weiteren Schritte unternommen werden.
In den Organen der orthodoxen Parteien erschienen Leitartikel, die gegen die geplante Untersuchung der Synagoge heftig protestierten und von einer Entweihung des Bethauses sprachen. »Wenn die Behörden«, so hieß es, »nicht einmal vor den heiligen Thorarollen haltmachen - was haben wir dann als nächstes zu erwarten? Wo wird dieser Sittenverfall enden?«
Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurde über Theodor Forklewitsch Hausarrest verhängt. Als er nach einiger Zeit gegen Kaution seine Bewegungsfreiheit zurückgewann, war er ein körperlich und geistig gebrochener Mann, fuhr jedoch fort, sein Geld zurückzuverlangen, obwohl bereits mehr
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