Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Öl, Moses

Kein Öl, Moses

Titel: Kein Öl, Moses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Bilder von Gideon in verschiedenen KaratePositionen, ferner von koreanischen Champions, die mit einer Hand das Horn eines Ochsen brechen, und von hilflos darniederliegenden Ochsen.
    Auf den Matten trainiert gerade die sogenannte »Intellektuellengruppe«, bestehend aus einem Mathematiklehrer, einem Opernsänger, einem Innenarchitekten, dem Großindustriellen Zwecker und einem mir unbekannten Neuling. Die anderen Schüler Gideons befinden sich in häuslicher Pflege.
    Alle Anwesenden sind barfuß und tragen über ihren weißen Kimonos verschiedenfarbige Gürtel, je nach dem Grad ihrer Ausbildung: weiß, gelb, orange. Alex, so wird mir gesagt, hat es bereits zu einem grünen Gürtel gebracht, liegt aber noch im Gipsverband.
    Ich setze mich auf eine Bank am entfernten Ende der Halle, um keine überflüssige Aufmerksamkeit zu erregen.
    Kurz nach 17 Uhr beginnt der Boden unter unseren Füßen zu zittern. Gideon tritt ein. Er trägt einen schwarzen Gürtel.
    Sofort geben seine Schüler ein eindrucksvolles Zeugnis der Disziplin, die er ihnen beigebracht hatte. Sie fallen auf die Knie, beugen den Oberkörper nach vorn und rufen »Hei«, was auf japanisch soviel bedeutet wie »Hei«.
    Gideon kündigt an, daß er zu Beginn den »Schekutschu-Otschikawa«-Schlag demonstrieren wolle, der in schrägem Winkel gegen die Kehle geführt wird. Er macht zwei rasche Schritte vorwärts, stößt einen markerschütternden Schrei aus und läßt die Hand wie ein Beil durch die Luft sausen.
    Aus der Schar der Schüler tritt der Innenarchitekt hervor und bittet, für heute vom Training dispensiert zu werden. Er habe Rheuma.
    Gideon dispensiert ihn. Der Innenarchitekt nimmt erleichtert an meiner Seite Platz.
    Unterdessen schweift Gideons Adlerblick über die Gruppe der Schüler. Jeder duckt sich, jeder versucht sich hinter dem Rücken eines anderen zu verstecken, jeder scheint sagen zu wollen: »Warum gerade ich?«
    Gideon entscheidet sich für den Großindustriellen:
    »Stehen Sie gerade und rühren Sie sich nicht. Ich werde Ihnen nicht wehtun. Ich führe nur die Theorie des Griffs vor. Halten Sie still.«
    Er nimmt Augenmaß, konzentriert sich, springt mit dem ohrenbetäubenden Aufschrei »Johaa!« vorwärts und landet einen fürchterlichen Schlag auf das Genick des Wehrlosen. Dieser, höchlichst bestürzt, weicht zurück, aber schon hat ihn Gideons langer Arm ein zweites Mal erreicht. Mit einem dumpfen Knall bricht das Opfer zusammen und kriecht auf allen vieren in den Duschraum. »Man muß lernen, Hiebe einzustecken«, raunt mir der dispensierte Innenarchitekt sachkundig und nicht ohne Schadenfreude zu. »Wer keine Hiebe einstecken kann, wird nie Karate lernen.« Und er deutet wie zur Bekräftigung auf seine gelbe Bauchschärpe.
    Im weiteren Verlauf erfahre ich, daß Gideon auf dem Fußboden eines ungeheizten Zimmers schläft, Fleischesser ist und kein Telefon hat. Seine Schüler sind ihm blind ergeben, besonders seit er ihnen den »Nihutschu-Nokita«-Schlag gezeigt hat, der gegen die Augen geführt wird. Sie folgen ihm überallhin, in der geheimen Hoffnung, daß irgendwo, vielleicht auf einem Supermarkt oder im Kino, irgend jemand, vielleicht eine Schlägerbande, sich über Gideon hermachen wird.
    Aber das ist noch nie geschehen. Jeder Rowdy in der Stadt kennt Gideon. Einmal, in einem Kegelklub, begann eine aus acht finsteren Gesellen bestehende Bande zu randalieren. Gideon wurde eilends aus einem nahe gelegenen Kaffeehaus herbeigeholt. Bei seinem Eintritt machten die Radaubrüder Miene, sich mit geballten Fäusten, Sesselbeinen und Schlagringen auf ihn zu stürzen. Es sah ganz danach aus, als ob endlich etwas geschehen sollte. Da sagte Gideon ganz ruhig: »Ich heiße Gideon« - und die Bande löste sich in ihre Bestandteile auf und ließ sich nie wieder blicken.
    Eben jetzt demonstriert Gideon den »Yoko-Kyaga«-Schlag. Die meisten der Schüler kleben bereits an der Wand. Vor ihrem geistigen Auge zieht kaleidoskopartig ihre Kindheit vorüber. Nur der Neuling ist noch übrig. An ihn wendet sich Gideon:
    »Passen Sie auf. Meine Schultern liegen in einer Linie mit meinen Hüften, mein Standbein ist rechtwinkelig aufgesetzt, mein Trittbein ist gestreckt. Bewegen Sie sich nicht. Ich werde Sie nicht berühren. Ich deute nur an, wie der Schlag geführt wird. Halten Sie still.«
    Noch während er spricht, retiriert der Neuling in immer wilderen Sprüngen, Gideon mit einem brüllenden »Mikshoda!« hinter ihm her, bis er ihn mit dem gestreckten Bein

Weitere Kostenlose Bücher