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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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Joyce.«
    »Was heißt das?«, fragte Sarah.
    Havens glitt von dem Felsen herunter und hockte sich auf den Boden. »Es gibt etwas, das ich Z nicht verraten habe. Einen neuen Fall. Er ist noch nicht einmal eine Woche alt.«
    Sarah wollte aufstehen, aber ich gab ihr mit einer Handgeste zu verstehen, sitzen zu bleiben.
    »Wo ist es passiert?«, erkundigte ich mich.
    »Es geht um einen verschwundenen Jungen aus dem Norden von Chicago. Man hat einen Turnschuh gefunden und einen Rucksack, der möglicherweise ihm gehörte. Etwa eine Meile diesen Pfad hinunter.«
    »Und keine Leiche?«
    »Die Suchaktion hat drei Tage gedauert und nichts ergeben. Der Junge war von zu Hause ausgerissen, weshalb die Sache nicht an die große Glocke gehängt wurde. Aber der Turnschuh und der Rucksack wurden in der Nähe von Wingates Grab entdeckt. Ich wollte mich hier mal umsehen.«
    »Dann könnte hier irgendwo der Tatort sein«, sagte Sarah. »Da kannst du nicht einfach so herumtrampeln.«
    »Die Polizei von Chicago hat ihre Spurensuche in der letzten Woche abgeschlossen. Alles hier wurde nach Beweisen durchkämmt.« Havens setzte sich in Gang. Sarah und ich folgten ihm automatisch.
    »Die Sachen des Jungen hat man am Fuß einer Klippe auf einer kleinen Lichtung gefunden.« Havens nahm seine Taschenlampe und ließ den Lichtkegel über das Ufer wandern.
    »Ach, und du glaubst, diese Stelle kannst du erkennen?«, fragte ich. »Hier im Dunkeln?«
    »Ich wollte früher ankommen, wurde aber von ein paar anderen Studenten aufgehalten.« Havens drehte sich zu uns um. »Die sich im Wald verlaufen hatten. Kommt. Mein Gefühl sagt mir, dass es nicht mehr weit ist.«
    Aber nicht Havens fand die Stelle, sondern Sarah. Oder vielmehr entdeckte sie ein Stück des gelben Absperrbands der Polizei, das im Wind flatterte. Sie zupfte es von einem Ast ab und zeigte es ihm. »Hast du danach gesucht?«
    Havens steckte das Band ein und machte ein paar Schritte in den Wald hinein. Ich lächelte Sarah zu. Dann folgten wir Havens. Wir stolperten noch einige Minuten lang im Wald herum, ehe wir auf die Lichtung trafen, die von dunklen Klippen und dem Ufer des Flusses begrenzt wurde. Ich schob mich an den beiden vorbei und näherte mich dem Wasser. Havens meinte noch, ich solle vorsichtig sein. Ich hätte auf ihn hören sollen, denn nach einem falschen Schritt gab der Uferboden unter mir nach. Ich rutschte aus, fiel ins Wasser und bekam die schlammige Brühe in den Mund. Als ich wieder hochkam, prustete ich verdreckte Wasserfontänen und sah den Schein der Taschenlampe in der Dunkelheit tanzen. Dann kam eine Hand, die meinen Unterarm packte und zog. An meinen Füßen gab der Schlick saugende Geräusche von sich und schien nicht gewillt, seine Trophäe wieder loszulassen. Aber er hatte nicht mit Havens gerechnet. Sarah sah gnadenlos zu, wie ich vor mir selbst gerettet und aufs Ufer gelegt wurde. Nass, kalt und gedemütigt. So viel zum Thema, dass ich im Wald gut zurechtkam.
    »Tut mir leid«, keuchte ich.
    »Kann vorkommen.« Havens lächelte. Zum ersten Mal spürte ich einen Anflug von Zuneigung für meinen Kommilitonen.
    »Brauchst du noch einen Moment?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf und raffte mich auf. Von meiner Hose und meinen Schuhen lösten sich Schlammbrocken.
    »Hier muss die Stelle sein, wo man den Rucksack gefunden hat«, sagte Havens und hielt meinen Blick fest. Ich nahm ihm die Taschenlampe ab. Beim Gehen quietschten und schmatzten meine Schuhe auf niederträchtige Weise, und irgendetwas kroch über meinen Nacken. Ich schlug es fort und kauerte mich hin, um den Erdboden zu studieren.
    »Suchst du was Bestimmtes?« Sarah hockte sich neben mich.
    »Das weiß ich noch nicht.« Mit einer Hand grub ich in der Erde. Tiefer als zwei Zentimeter kam ich nicht.
    »Dünne Erdbodendecke«, erklärte ich. »Wenn er den Jungen hier ermordet hat, konnte er ihn nicht an Ort und Stelle begraben.« Ich richtete mein Licht auf die Bäume. »Er könnte ihn in den Wald geschleift haben.«
    »Hat er aber nicht.« Sarah ließ eine Handvoll Kiesel durch ihre Finger rinnen. »Das hat die Polizei überprüft.«
    »Warum haben sie die Suche abgebrochen?« Ich leuchtete Havens an.
    »Laut Herald glauben die Cops zurzeit, der Junge könnte einfach abgehauen sein«, sagte er. »Sie folgen ›anderen Spuren‹, was immer das auch heißen mag.«
    Ich stand auf und lief am Ufer entlang. Diesmal mit vorsichtigen Schritten.
    »Wohin gehst du?« In der Dunkelheit klang Sarahs Stimme

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