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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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und Rauschen eines Funkgeräts, dann einen gedämpften Fluch. Sarah umklammerte meine Hand. Havens wirkte ruhig. Wenn überhaupt, schien er neugierig auf das zu sein, was ich vorhatte. Der Boden unter unseren Füßen wurde fester, eine abschüssige Felsplatte, die wir leise überquerten. Dann wurden wir von den Bäumen verschluckt. Ich stieg den nächsten Hang hoch und hielt Sarah an der Hand. Ob Havens noch hinter uns war, wusste ich nicht, aber er machte keine Geräusche, und nur das zählte. Nach vielleicht einer viertel Meile hangaufwärts, stießen wir wieder auf einen Pfad und schlugen einen leichten Laufschritt an. Wenig später mündete der Pfad in einen kleinen geschützten Platz. Von dort aus hatten wir einen guten Blick über das Waldgebiet. Eine lose Lichterkette säumte das Flussufer und kam stetig auf uns zu. Hier und da verharrte sie, zog sich zusammen und breitete sich wieder aus.
    »Was glaubt ihr, wonach die suchen?«, fragte Havens, der uns eingeholt hatte.
    »Wonach haben wir denn gesucht?«, antwortete Sarah.
    Unter den Bäumen fingen die Lichter an zu wackeln, und dann verschwanden sie plötzlich ganz. Gleich darauf waren sie wieder da, näher als zuvor und immer größer werdend.
    »Sie gehen den Hang zur Höhle hoch«, sagte ich. Wir huschten zurück in den Schutz der Bäume. Die Lichter standen still, setzten sich wieder in Bewegung und fuhren im Zickzack über den Hang, wanderten weiter zu der Stelle, wo wir zusammengestanden hatten. Ein Licht erlosch. Dann das nächste.
    »Sie haben die Höhle entdeckt«, sagte Havens. Das dritte und das vierte Licht verschwanden. Eins blieb zurück.
    »Los«, sagte ich. »Wenn wir uns beeilen, schafft Havens es noch zu dem kleinen Parkplatz, auf dem sein Wagen steht. Wenn sie den Fund der Leiche melden, wird die Umgebung abgeriegelt.«
    »Scheiße«, sagte Havens.
    Ich nickte. »Das trifft es genau. Hier entlang.«
    Wir schlugen uns durch den Wald zurück zur Caldwell Avenue. Havens joggte über die Straße. Sarah und ich liefen zu ihrem Wagen. Ohne die Scheinwerfer einzuschalten, rollte Havens mit seinem Honda von dem Parkplatz hinunter. Wir folgten ihm in Sarahs Audi über die Devon. Nach nicht einmal einer Meile kamen uns drei Streifenwagen und ein Rettungswagen entgegen, rasten mit Sirenengeheul auf uns zu und zerfetzten mit ihren Blaulichtern die Nacht. Wir fuhren an die Seite und sahen ihnen nach. Dann verdrückten wir uns aus Chicago und kehrten nach Evanston zurück.

ELF
    Als wir das Zentrum von Evanston erreichten, war es kurz vor Mitternacht. Auf der Sherman, Ecke Emerson fand Havens Platz zum Parken. Wir hielten hinter ihm an.
    »Ich brauche eure Handy-Nummern«, sagte Sarah im Aussteigen. Wir tauschten unsere Telefonnummern und standen an der Straßenecke. Mir war, als blickten uns noch immer die Augen des toten Jungen aus der Höhle an.
    »Ich muss nach Hause.« Ich schaute auf meine Uhr.
    »Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann«, sagte Sarah.
    »Ich auch nicht«, meinte Havens. »Wie wär’s mit einem Bier im Nevins. Zur Feier des Tages.«
    »Wir waren nicht beim Football.« Verwundert hörte ich, wie gereizt ich klang, und schrieb es meiner Müdigkeit zu.
    »Entspann dich.«
    »Wir haben vorhin eine Leiche gefunden, Havens. Ist dir das überhaupt bewusst?«
    »Ich weiß, was wir gefunden haben.« Unruhig schaute er über die leere Straße.
    »Ein Bier könnte jetzt nicht schaden«, sagte Sarah leise.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ihr könnt ja was trinken gehen, aber ich mach mich auf den Weg nach Hause.«
    »Sollen wir dich fahren?« Sarah versuchte, meinen Blick einzufangen.
    »Ich hab’s nicht weit.«
    »Wir könnten dich begleiten.«
    Ohne es zu wollen, nickte ich. Zu dritt schlugen wir den Weg nach Westen über die Emerson ein.
    Havens drehte sich halb zu mir um. »Merkwürdig, dass wir auf diese Höhle gestoßen sind.«
    »Reines Glück«, antwortete ich. »Oder Pech, je nachdem, wie man es nimmt.«
    »Aber vor uns war jemand anders da«, sagte Sarah. »Vielleicht hat er oder sie die Polizei alarmiert.«
    »Vielleicht«, bemerkte Havens.
    »Sollen wir der Polizei sagen, dass wir da waren?«, fragte Sarah.
    »Und ihnen beichten, dass wir auf ihrem Tatort herumgetrampelt sind?« Havens schnaubte. »Das wäre das Ende unserer Karriere an der Medill. Und zwar sofort.«
    »Und was ist, wenn die Höhle mit dem Fall Harrison zusammenhängt?«, fragte Sarah.
    »Halte ich für unwahrscheinlich«, entgegnete ich. »Wingate ist vor beinah

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