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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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fünfzehn Jahren umgebracht worden.«
    »Soll sich doch die Polizei um die Höhle kümmern«, sagte Havens. »Wir haben mit unserem Mordfall genug zu tun.«
    Wir hatten das Zentrum verlassen. Zu unserer Rechten lag ein Park. Auf einem Feld, das wie eine Bühne erleuchtet war, spielten ein paar Kids Basketball. Sonst war alles dunkel. Als wir uns von ihnen entfernten, wurde die Nacht wieder still. Ich wohnte in dem Haus, in dem ich aufgewachsen war, auf einer engen Seitenstraße namens Astoria. Gemessen am Standard von Evanston war es eine arme Gegend, zwar nicht bitterarm, aber irgendwie bedrückend, als hätte man es hier nie ganz geschafft. Die meisten Häuser hatten zwei Stockwerke, spitze Dächer und waren mit Schindeln verkleidet, vor dem Eingang ein Fleck, auf dem Fingergras wuchs, und hinten hinaus ein Stück Zementboden. Dazwischen hing die unterdrückte Wut von Generationen. Ich schämte mich nicht für mein Zuhause, ich wollte nur nicht, dass Jake Havens und Sarah Gold jemals in seine Nähe kamen. Am Anfang der Astoria blieb ich stehen.
    »So, schönen Dank, Leute.«
    »In welchem Haus wohnst du?« Ich spürte, wie Havens’ Blick über die Straße wanderte, die Haustüren zum Leben der Menschen durchdrang und durch die Flure und Zimmer streifte.
    »Da hinten.« Mit der Hand wedelte ich in die Richtung meines Hauses.
    »In dem grün-weißen?«, fragte Havens.
    »Yeah.«
    Nach einer unbehaglichen Pause beugte Sarah sich vor und umarmte mich. »Schmier dir was auf die Schrammen.«
    »Leg dir einen Eisbeutel auf die Beule. Havens, wir sehen uns morgen.«
    »Und kein Wort über unsere Entdeckung in der Höhle, Joyce.«
    »Gut, dass du mir das sagst.«
    Havens brummte irgendetwas. Die beiden gingen davon und bildeten ein schönes Paar. Jung und dynamisch, mit hocherhobenen Köpfen, die Schritte im Gleichtakt. Ich wartete, bis sie um die Ecke verschwunden waren und hätte wetten können, dass Havens noch einmal zurückschleichen würde. Als er es nicht tat, machte ich mich auf den Weg zu dem Haus, in dem ich wohnte.
    Im ersten Stock waren die Jalousien heruntergelassen. Bis auf einen gelben Schein aus dem Wohnzimmer war alles dunkel. Die Haustür war alt und schwer, das Schloss steinzeitlich. Ich steckte meinen Schlüssel hinein und drehte ihn. Im Haus behielt ich mein Schlüsselbund in der Hand und durchquerte den langen Flur meiner Kindheit. An seinem Ende befand sich die Tür zu dem Zimmer, das mein Bruder und ich uns als Kinder geteilt hatten. Sie war mit einem glänzenden Metallschloss ausgestattet. Daneben lag die zweite Tür, ebenfalls mit einem Schloss versehen. Sie führte in den Keller.
    Ich öffnete die zweite Tür und stieg die Treppe hinunter. Die Stufen knarrten, und ich konnte das Gezeter aufgescheuchter Ratten in den Wänden hören. Es war stockfinster, doch meine Füße fanden den Weg, als liefe ich durch meine Grabstätte. Ich ertastete die Strippe und zog daran. Eine einzelne Glühbirne warf ihr fahles Licht in den Kellerraum. Ich schlug in die dicke Schicht Spinnweben, die von einer Deckenstrebe hing. Die Decke war mit schwarzen Schimmel- und Moderflecken überzogen. Irgendwo musste ein Leck sein. Eins von vielen.
    Ich setzte mich auf die unterste Treppenstufe und ließ meinen Blick schweifen. Schwere Eisenketten mit Rostflecken schimmerten im trüben Licht. Zu meinen Füßen lagen schmierige Seilrollen. Mein Blick wanderte zu der Stelle, zu der er jedes Mal wanderte. Es war ein Loch im Boden, das mit Zement versiegelt worden war, ehe der schwere Holztisch darübergerückt wurde, der mitten im Raum stand. Ich hörte ein Rascheln, das Hin und Her eiliger Pfoten. Wieder Ratten, doch diesmal waren sie in meinem Kopf eingemauert.
    Ich stand auf und näherte mich dem Tisch, auf dem das Licht glänzte. Ich berührte eine Kerbe in der Holzoberfläche und spürte, wie die Erinnerungen in meinen Fingerspitzen pulsierten. So blieb ich, bis ich es nicht mehr aushielt, zurückwich und mich wieder setzte. Nach einer Weile machte ich das Licht aus und nahm die Treppe nach oben.
    Meine Mahlzeit bestand aus einer aufgewärmten Pizza und drei Dosen Bier. Gegen ein Uhr morgens ging ich zu Bett. Ich hatte im Fernsehen eine Kochsendung aufgenommen und stellte sie an. Zwar kochte ich nicht viel, und die Sendung mochte ich auch nicht, aber die Köchin erinnerte mich an meine Mutter, und ich sah ihr zu. Kurz vor drei ging ich nach unten und trat hinaus in den Garten hinter dem Haus. Ich legte mich aufs Gras,

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