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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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laut und schrill. Wie das Wiehern eines Esels und am Rand der Hysterie.
    »Das habe ich auch nicht angenommen.«
    »Egal.« Sie wedelte mit ihrer schmalen, langfingrigen Hand. »Wie sehen denn Ihre Pläne für heute Abend aus?«
    »Ich bleibe zu Hause. Muss noch ein paar Dinge erledigen.«
    »Vorhin habe ich Ihre beiden Kommilitonen gesehen. In diesem Irish Pub. Nevins oder so.«
    »Und?«
    »Mr Havens und Ms Gold. Wirkten sehr entspannt. Haben Sie vor, sich später dort noch mit ihnen zu treffen?« Und da war es wieder, dieses harte kleine Lächeln.
    »Ich denke schon.«
    »Wie nett. Tja, dann vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu plaudern. Und falls Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich ruhig an. Für so was bin ich schließlich da.«
    Wir verabschiedeten uns. Was für ein Miststück, dachte ich. Zwanzig Minuten später verriegelte ich mein Haus und zog los.

ZWEIUNDDREISSIG
    Es war kurz nach eins, als sie vor dem Haus ankamen, in dem sie wohnte. An ihren vorsichtigen Schritten und der Art, wie er ihren Ellbogen umfasste, erkannte ich, dass sie betrunken war. Auf der Veranda vor dem Haus blieben sie stehen. Sie hob den Kopf, ihre Schultern bebten vor Lachen. Fast wäre sie aus dem Gleichgewicht geraten. Sie krallte sich in sein Hemd, er legte einen Arm um ihre Taille. Dann tauchte in meinem Rückspiegel das Licht von zwei Scheinwerfern auf. Gleich darauf fuhr eine dunkle Limousine an mir vorüber und weiter in die Nacht. Ihr folgte eine zweite. Ich stellte das Radio an und konzentrierte mich wieder auf die Veranda. Sie standen mit dem Rücken zu mir, Sarah kramte einen Schlüssel aus der Handtasche und öffnete die Eingangstür. Jake drehte sich um und starrte in meine Richtung, aber ich wusste, dass er mich nicht sehen konnte. Die Tür sprang auf. Er drückte dagegen, sie traten ins Haus. Zu ihrer Wohnung mussten sie drei Stockwerke hochsteigen. Nach einer Minute ging oben ein Licht an. Dann noch eins. Ich beobachtete das Fenster und ihre hin und her gleitenden Silhouetten. Eine Hand zog die Jalousie herunter. Zehn Minuten später gingen die beiden Lichter aus.
    Mein Radio war auf einen Nachrichtensender eingestellt. Alle sechs Minuten wurden die Schlagzeilen aufgefrischt. Ich hörte mir drei neue Meldungen an und stieg aus dem Wagen. Havens’ Honda parkte unter einer Straßenlaterne. Ich warf einen Blick auf den Rücksitz, entdeckte dort eine Schaufel und eine grüne Plane und kehrte zu meinem Wagen zurück. Sechs Radiomeldungen später ging das Licht in Sarahs Wohnung wieder an. Die Jalousie wurde ein Stück hochgeschoben. Zwölf Minuten danach erschien Havens auf der Veranda. Allein. Ich wartete, bis er davongefahren war. Nach weiteren zehn Minuten verließ ich meinen Wagen, schloss ihn ab und steuerte Sarahs Wohnung an.

DREIUNDDREISSIG
    Der Junge stierte auf das Display seines Handys, wo in leuchtenden Buchstaben Zuhause stand. Er tippte darauf, die Telefonnummer erschien, und er spürte den Wirrwarr seiner Gefühle. Trauer war darunter, die Erinnerung an Wärme, auch Mitgefühl und Angst. Anscheinend hatte er mit dem Alleinsein immer noch Probleme. War einfach nicht hart genug. Am anderen Ende der Gasse flog eine Tür auf. Er steckte das Handy in die Tasche und trat seine Zigarette aus.
    »Luke? Wo zum Teufel steckst du? Verdammt noch mal, wir haben die Bude voll.«
    Die Tür wurde zugeknallt, Luke war wieder allein. Er arbeitete als Hilfskellner in einer Bar namens Timbers. Sie lag im Schwulenviertel von Chicago, und den Job hatte er nur gekriegt, weil sie ihn für einen Homo hielten und dachten, er würde Gäste anlocken. Sollten sie doch denken, was sie wollten. War nicht das erste Mal, dass er sein Aussehen zu seinem Vorteil einsetzte. Dann hatte sein Boss, dieses fette Schwein, einen Vorstoß gemacht. War ja auch nicht anders zu erwarten gewesen. Ekelte ihn trotzdem an. Leider brauchte er das Geld. Also hatte er dem Schwein einen geblasen und die Sache halbwegs ordentlich gemacht. War auch nicht das erste Mal, dass er sich auf die Art einen Vorteil verschafft hatte.
    Luke begutachtete seinen tätowierten Namen, dünne Tintenstriche auf der Innenseite seines Handgelenks. Den Schwachsinn hatte er gemacht, als er mit seinen Kumpels zu Hause auf Tour gewesen war. Als sie alle vorhatten, sich nach Kalifornien durchzuschlagen. Er spürte das dicke Geldbündel in seiner Jackentasche und grinste in sich hinein. Der Safe der Bar war im Keller, der Fettsack bewahrte die Kombination in

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