Kein Opfer ist vergessen
Augen waren wie schwarze Löcher, die Gefängnisblässe der Haut wechselte sich mit Tätowierungen ab. Er spannte seinen Bizeps an.
»Was sagst du dazu?«
Ich ballte die Hände zu Fäusten und löste sie wieder. »Fick dich.«
»Gute Idee.« Sein Lachen sprach von Bosheit und zahllosen Zigaretten. »Warum lachst du nicht?«
»Warum bringst du mich nicht um, bevor ich dich zu Brei schlage?«
Sein Gelächter brach ab. Er zog ein selbstgebasteltes Messer hervor und richtete die Spitze auf mich. »Die Idee ist noch besser.«
Meine Hände schossen vor, suchten nach seinen Augen. Aber Randall war nicht dumm. Auch nicht alt. Er benutzte meinen Schwung, um mich bäuchlings auf den Boden zu werfen. Dann war er auf mir und drückte sein Knie auf meinen Rücken. Ich erinnerte mich an den Tag, als Havens das Gleiche bei Sarahs Exfreund gemacht hatte. Es kam mir vor, als wäre seitdem eine Ewigkeit vergangen.
»Was jetzt, Hosenscheißer?«
Das Messer kitzelte meine Wange, ich spürte seinen Atem in meinem Ohr. Er würde mich umbringen. Ohne große Mühe. Bei dem Gedanken wurde ich erst recht sauer.
Ich griff nach hinten und krallte nach seinem Gesicht. Randall packte ein Büschel meiner Haare und riss meinen Kopf in den Nacken. Ich wartete auf den Schnitt durch die Kehle und das Blut und dachte, lieber das als alles andere, was er vielleicht noch in petto hat. Randall ließ mich los und kletterte auf seine Pritsche zurück. Ich raffte mich auf und kroch auf meine. Minuten verstrichen. Ich schloss die Augen und lauschte meinem rauen Atem, bis er wieder normal ging. Mein Zellengenosse sprach als Erster.
»Du hast eine Frau vergewaltigt.«
Meine Augen sprangen auf.
»Die Cops haben mir ein Angebot gemacht. Ich soll dich ausspionieren.«
»Und was soll dabei herauskommen?«
»Das wollte ich dich gerade fragen. Wie heißt du?«
»Ian. Ian Joyce.«
»Tja, Ian Joyce, jetzt hat die Maschinerie dich erfasst. Da hilft dir weder Daddy noch Jesus.«
»Warum hast du mich am Leben gelassen?«
»Geht nur mich was an.« Wir schwiegen. Dann fiel das Messer, ein geschärftes Stück Stahl, auf meine Pritsche. Der Griff war mit grauem Klebeband umwickelt. »Wenn dich noch mal einer schief anguckt, stichst du zu. Sofort, ohne lang zu fackeln. Vielleicht kommst du dann zurecht.«
»Ich werde sowieso nicht lange hierbleiben.«
Randall wälzte sich herum und gähnte. »Behalt das Messer. Und lern, damit umzugehen.«
Fünf Minuten später hörte ich ihn schnarchen. Der Adrenalinschub hatte mich hibbelig gemacht. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, wusste nur, dass ich nicht schlafen konnte. Dann schlief ich ein.
Irgendwo wurde eine Stahltür zugeworfen. Ich öffnete die Augen und betrachtete die Sprungfedern, die aus Randalls Matratzenrahmen stachen. Die Stahlklinge, die er mir gegeben hatte, lag unter meinem Kopfkissen. Ich tastete danach. Draußen kamen Schritte näher und hielten an. Vor dem Gitter der Zellentür stand eine Gefängniswärterin. In der einen Hand hielt sie Handschellen, in der anderen eine Bauchkette aus Eisen.
»Ian Joyce?«
Noch nie war ich so froh gewesen, meinen Namen zu hören. Ich stieg von meiner Pritsche und trat an das Gitter. »Der bin ich.«
»Treten Sie zurück.«
Ich machte einen Schritt zurück und fragte mich, wie lange ich geschlafen hatte. Die Wärterin kam herein und legte mir Handschellen und Bauchkette an. Oben auf dem Stockbett lag Randall mit dem Rücken zu uns. Die Wärterin führte mich in einen Verhörraum, in dem ein getönter Spiegel hing. Ich setzte mich auf einen Stuhl und schwor mir, nie wieder in die Zelle zurückzukehren, ganz gleich, was geschah. Dann ging die Tür auf, Coursey kam herein. Er war allein, trug einen anderen Anzug als bei unserer letzten Begegnung und eine weiche Aktenmappe mit dem Wappen der Polizei von Chicago.
»Na, Sportsfreund, wie geht’s?«
»Ich möchte einen Anwalt.«
Coursey zog ein Schlüsselbund hervor. »Wie wär’s, wenn ich Ihnen mal den Schmuck abnehme.« Er befreite mich von Handschellen und Bauchkette. »Fühlen Sie sich jetzt besser?«
»Ja. Danke.«
»Wissen Sie, wo Sie sind?« Beim Sprechen wickelte er die Eisenkette um seine fleischige Hand und ließ sie wieder abrollen.
»Auf einem Polizeirevier.«
»Sie sind in einem Panoptikum.« Coursey deutete auf den Spiegel. »Von der anderen Seite kann man hindurchsehen.«
»Dachte ich mir schon.«
»Steht aber keiner dahinter.« Er ließ die Kette auf den Tisch fallen, zog den
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