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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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bloß, dass es gut klingt.«
    Havens lachte. Es klang sogar aufrichtig. Dann hob er sein fast leeres Glas. »Du bist scharf auf sie.«
    »Wohl kaum.«
    »Seit wann ist das schon so? Seit dem ersten Semester?«
    »Leck mich.«
    Havens legte den Kopf zurück und lachte schallend. Er hatte ein perfektes, schneeweißes Gebiss. »Herrgott, Joyce. Mach dich locker.«
    Mir war klar, dass Havens in der Lage war, mich nach allen Regeln der Kunst zu vermöbeln. Es war mir egal. So was war mir schon immer egal gewesen. Weshalb ich in meinem Leben mehr Prügel bezogen hatte, als ich zählen konnte.
    »Das mit Sarah kann ich dir nicht mal verdenken«, sagte Havens. »So jemanden haben wir alle, oder? Manchmal sogar mehrere. Abgesehen davon ist sie ziemlich heiß.«
    »Klar, Sarah ist heiß.«
    »Aber das hier ist ihre Welt, oder? Und du bist nur zufällig hineingeraten.«
    »So was in der Art.«
    »Nicht so was in der Art, sondern genau so. Du bist aber nicht der Einzige, der so was erlebt, mein Freund. Ich bestell mir noch ein Glas. Willst du auch eins?«
    »Gern.« Ich schob ihm mein leeres Bierglas zu.
    Havens stand auf und steuerte die Theke an.
    »Heh«, rief ich ihm nach.
    Er drehte sich um, in jeder Hand ein leeres Glas.
    »Glaubst du wirklich, dass Harrison unschuldig war?«
    Havens kehrte zurück. »Vergiss den Brief. Denk nur an den Stofffetzen. Herauszufinden, ob er von dem Hemd des Opfers stammt, dürfte nicht allzu schwierig sein. Wenn dem so ist –«
    »– dann wurde er dir vom Mörder geschickt.«
    »Nicht unbedingt.«
    Ich legte den Kopf zur Seite und runzelte die Stirn. »Aber das hast du Z gesagt.«
    »Es ist trotzdem nicht die einzige Möglichkeit. Wenn dieses Hemd zum Beweismaterial der Anklage gehört hat, hätte jeder, der Zugang dazu hat, mir ein Stück davon schicken können. Ein Polizist, der Staatsanwalt oder ein Techniker der Spurensuche.«
    »Ein Maulwurf?«
    »Möglich. Jemand, der uns eine Botschaft schickt. Der uns sagt, dass Harrison reingelegt worden ist.«
    »Gehst du davon aus?«
    »Bevor ich das Beweismaterial gesehen habe, gehe ich von gar nichts aus.«
    »Aber warum wurde der Brief an dich geschickt? Warum nicht an die Tribune oder die Sun-Times ? Du bist doch nur ein Student in einem Seminar.«
    »Meinst du, das hätte ich mich noch nicht gefragt? Lies die Akte.«
    Havens machte sich auf den Weg zur Theke. Ich nahm die Akte und blätterte durch die Zeitungsausschnitte. Zuunterst lag der Polizeibericht, in dem es um das Verschwinden von Skylar Wingate ging. An der Rückseite steckte ein Foto unter einer Heftklammer. Es zeigte den Tatort: eine flache Grube, daneben ein kleiner weißer Leichensack. Ich strich mit dem Finger über das Foto. Dann legte ich es zur Seite und las den Bericht.

DREI
    Skylar Wingate wurde lebend zuletzt von seinem älteren Bruder Bobby gesehen. Er berichtete der Polizei, dass Skylar die Grundschule von St Augustin, im Nordwesten der Stadt, gegen 15 Uhr 45 verlassen habe und über die Lemont Avenue nach Süden gegangen sei. Skylar war auf dem Weg nach Hause, eine Strecke von einer knappen Meile. Als er dort zur gewohnten Zeit nicht erschien, nahm seine Mutter an, dass ihr Jüngster den Nachmittag zusammen mit seinem älteren Bruder verbrachte, und machte sich erst Sorgen, als Bobby kurz nach 18 Uhr allein nach Hause kam. Fünfzig Polizisten aus Chicago befragten die Nachbarn und durchkämmten die rein weiße Wohngegend bis weit nach Mitternacht. Skylar wurde als ein Meter fünfundzwanzig großer Junge beschrieben, Gewicht neunundsechzig Pfund, mit grauer Hose und schwarz-weiß gestreiftem Hemd. Die letzte Angabe hatte Havens unterstrichen.
    Polizeiliche Ermittler befragten Skylars Familie und Freunde in den ersten Stunden nach dem Verschwinden des Jungen und kamen zu keinem Ergebnis. Nach einem Zeitungsbericht der Tribune wurde Skylars Leiche drei Tage später von einem Wanderer im Naturschutzgebiet von Cook County gefunden, eine Meile von seinem Elternhaus entfernt. Tiere hatten die Leiche ausgegraben. Die erste Autopsie ergab, dass auf den Jungen mehrfach eingestochen worden war. Zudem hatte man ihn gewürgt und schließlich ertränkt, bevor er verscharrt wurde. Als Havens mit unseren frischen Bieren zurückkehrte, hörte ich auf zu lesen.
    »Na?«, fragte er.
    »Ich habe einige Artikel und den Polizeibericht überflogen.«
    »Hast du die Beschreibung des Hemds gesehen?«
    Ich nickte.
    »Der Fall hat damals großes Aufsehen erregt«, sagte Havens. »Erinnerst du

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