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Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

Titel: Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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sich Ruth Sorgen um mich macht. In den länger werdenden Schatten sehe ich, dass sie mich beobachtet, diese Frau, die ich immer angebetet habe. Wieder denke ich an das Jahr 1 940 zurück, um sie abzulenken.
    »Trotz deiner Bedenken wegen Sarah«, sage ich, »bist du im Dezember nicht nach Hause gekommen.«
    Vor meinem geistigen Auge sehe ich Ruth die Augen ver drehen – ihre Standardreaktion auf meinen Vorwurf. »Ich bin nicht nach Hause gekommen, weil ich mir die Zugfahrkarte nicht leisten konnte. Das weißt du ganz genau. Ich habe in einem Hotel gearbeitet, und wegzufahren wäre unmöglich gewesen. Das Stipendium deckte nur die Studien gebühren ab, für alles andere musste ich selbst aufkommen.«
    »Faule Ausreden«, flachse ich.
    Sie ignoriert mich, wie immer. »Manchmal habe ich die ganze Nacht am Empfang gearbeitet und musste trotzdem am nächsten Morgen in den Unterricht. Ich hatte Mühe, nicht über dem aufgeschlagenen Buch einzuschlafen. Leicht war das nicht. Nach meinem ersten Jahr freute ich mich sehr darauf, über den Sommer nach Hause zu fahren, und wenn auch nur, um mich geradewegs ins Bett zu legen.«
    »Aber dann habe ich dir einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem ich am Bahnhof auftauchte.«
    »Ja.« Sie lächelt. »Meine Rechnung ging nicht auf.«
    »Immerhin hatte ich dich neun Monate lang nicht gesehen. Ich wollte dich überraschen.«
    »Das ist dir gelungen. Auf der Fahrt hatte ich überlegt, ob du wohl da wärst, wollte aber nicht enttäuscht werden. Als dann der Zug in den Bahnhof einfuhr und ich dich durch das Fenster sah, machte mein Herz einen kleinen Satz. Du sahst sehr gut aus.«
    »Meine Mutter hatte mir einen neuen Anzug genäht.«
    Ruth stößt ein wehmütiges Lachen aus, immer noch in die Erinnerung versunken. »Und du hattest meine Eltern mitgebracht.«
    Ich würde ja die Achseln zucken, habe aber Angst, mich zu bewegen. »Ich wusste, sie wollten dich doch auch gern gleich sehen, also habe ich mir das Auto meines Vaters geliehen.«
    »Das war galant.«
    »Oder egoistisch. Sonst wärst du vielleicht direkt nach Hause gefahren.«
    »Ja, vielleicht«, sagt sie verschmitzt. »Aber auch daran hattest du natürlich gedacht. Du hattest meinen Vater gefragt, ob du mich zum Abendessen ausführen durftest. Er hat erzählt, du seist in die Fabrik gekommen, während er arbeitete, um seine Erlaubnis einzuholen.«
    »Ich wollte dir keinen Anlass geben, Nein zu sagen.«
    »Das hätte ich nicht getan, selbst wenn du meinen Vater nicht gefragt hättest.«
    »Jetzt weiß ich das, aber damals wusste ich es nicht«, sage ich genau wie sie vorher. Wir sind uns in vielen Dingen sehr ähnlich. »Ich weiß noch, dass ich, als du aus dem Zug stiegst, dachte, der ganze Bahnhof müsste eigentlich von Fotografen wimmeln, die dich ablichten wollen. Du sahst aus wie ein Filmstar.«
    »Ich hatte zwölf Stunden im Zug gesessen. Ich sah furcht bar aus.«
    Das ist gelogen, und wir wissen es beide. Ruth war sehr schön, und noch mit weit über fünfzig zog sie die Männerblicke auf sich, wenn sie einen Raum betrat.
    »Ich konnte mich nur mühsam davon abhalten, dich zu küssen.«
    »Das stimmt nicht«, widerspricht sie. »So etwas hättest du nie vor meinen Eltern getan.«
    Natürlich hat sie recht. Vielmehr wartete ich ab und ließ ihren Eltern den Vortritt; erst nachdem sie Ruth begrüßt und ein paar Minuten mit ihr gesprochen hatten, kam ich dazu. Ruth liest meine Gedanken. »An dem Abend verstand mein Vater zum ersten Mal richtig, was ich in dir sah. Er hatte gemerkt, dass du nicht nur fleißig und freundlich, sondern auch ein Gentleman warst, hat er mir später erzählt.«
    »Trotzdem glaubte er immer noch, ich sei nicht gut genug für dich.«
    »Kein Vater glaubt jemals, dass irgendein Mann gut genug für seine Tochter ist.«
    »Außer David Epstein.«
    »Stimmt«, sagt sie im Scherz. »Außer ihm.«
    Ich lächle, obwohl mir das einen weiteren Stromschlag durch den Körper jagt. »Beim Essen konnte ich die Augen nicht von dir losreißen. Du warst so viel schöner als in meiner Erinnerung.«
    »Aber wir waren uns wieder fremd«, sagt sie. »Es dauerte ein Weilchen, ehe das Gespräch wieder so ungezwungen wurde wie im Sommer zuvor. Bis wir nach Hause gingen, glaube ich.«
    »Ich habe mich absichtlich unnahbar gegeben, um interessant zu wirken.«
    »Nein, du warst einfach du selbst. Und gleichzeitig auch nicht. In dem Jahr, das wir uns nicht gesehen hatten, warst du ein Mann geworden. Du hast sogar meine

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