Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
sie.
»Erzähl mir vom College«, sagte er, und die nächste halbe Stunde berichtete sie ihm von ihrem Alltag. Selbst in ihren eigenen Ohren klang es eintönig – Unterricht, Lernen, Freizeit und Freunde am Wochenende –, aber er wirkte interessiert, stellte hin und wieder Fragen, ließ sie aber hauptsächlich einfach reden. Sie sprach von ihrer Schwesternschaft, vor allem von Mary-Kate, und ein bisschen über Brian und sein Verhalten seit Beginn des Semesters. Währenddessen kamen immer wieder Leute über den Parkplatz, manche tippten sich im Vorbeigehen an den Hut, andere blieben stehen, um Luke zu gratulieren.
Es wurde spät, die Temperatur sank, und Sophia spürte eine Gänsehaut auf den Armen. Sie verschränkte sie und kauerte sich tiefer in den Stuhl.
»Ich habe vorn eine Decke, wenn du möchtest«, bot er an.
»Danke«, sagte sie. »Aber nicht nötig. Ich sollte langsam mal zurückgehen. Nicht, dass meine Freundinnen ohne mich zurückfahren.«
»Dachte ich mir schon. Ich begleite dich.«
Er half ihr vom Pick-up, und je näher sie der Scheune kamen, desto lauter wurde die Musik wieder. Irgendwie kam es Sophia vor, als sei sie stundenlang weg gewesen.
»Soll ich mit reinkommen? Für den Fall, dass Brian noch da ist?«
»Nein danke«, sagte sie. »Nicht nötig. Ich bleibe in der Nähe meiner Mitbewohnerin.«
Er sah zu Boden, dann hob er den Blick wieder. »Es war schön, sich mit dir zu unterhalten, Sophia.«
»Fand ich auch. Und noch mal danke. Für vorhin, meine ich.«
»Gern geschehen.«
Luke nickte und drehte sich um, und Sophia sah ihm nach. Damit hätte es geendet – und später sollte sie sich fragen, ob das nicht besser gewesen wäre –, doch ohne groß nachzudenken machte sie einen Schritt hinter ihm her.
»Luke!«, rief sie. »Warte.«
Als er sie ansah, hob sie leicht das Kinn. »Du hast gesagt, du würdest mir deine Scheune zeigen. Angeblich soll sie ja noch windschiefer sein als die hier.«
Er lächelte und zeigte seine Grübchen. »Morgen um eins?«, fragte er. »Vormittags habe ich ein paar Sachen zu erledigen. Wie wäre es, wenn ich dich abhole?«
»Ich kann selbst fahren. Schick mir nur eine SMS mit der Wegbeschreibung.«
»Ich hab deine Handynummer nicht.«
»Wie lautet deine?«
Als er sie aufsagte, tippte Sophia sie bei sich ein, testete sie und hörte das Klingeln einen Meter weiter. Sie legte auf und sah Luke an, etwas ratlos darüber, was in sie gefahren war.
»Jetzt hast du sie.«
KAPITEL 5
Ira
Es wird jetzt noch dunkler, und das Spätwinterwetter verschlechtert sich weiter. Der Wind hat sich zu einem lauten Heulen gesteigert, und die Fenster des Wagens sind dick verschneit. Ganz langsam werde ich lebendig begraben, und erneut denke ich über das Auto nach. Es ist cremefarben, ein Chrysler, Baujahr 1 9 88, und ich frage mich, ob es wohl entdeckt wird, wenn die Sonne aufgegangen ist. Oder ob es einfach unauffällig mit der Umgebung verschmel zen wird.
»So etwas darfst du gar nicht denken«, höre ich Ruth sagen. »Es wird jemand kommen. Jetzt dauert es nicht mehr lange.«
Sie sitzt noch an derselben Stelle, sieht jetzt allerdings etwas anders aus. Etwas älter, und sie trägt ein anderes Kleid. Das Kleid kommt mir bekannt vor. Ich versuche angestrengt, mich zu erinnern, als erneut ihre Stimme ertönt.
»Sommer 1 940. Juli.«
Es dauert noch einen Moment, bis es wieder da ist. Ja, denke ich. Genau. Meine ersten Sommerferien vom College. »Jetzt erinnere ich mich«, sage ich.
»Jetzt erinnerst du dich«, neckt sie mich. »Aber du brauchtest meine Hilfe. Früher hast du nie etwas vergessen.«
»Früher war ich jünger.«
»Ich war auch mal jünger.«
»Das bist du immer noch.«
»Nicht mehr«, sagt sie, ohne eine leichte Traurigkeit zu verbergen. »Damals war ich jung.«
Ich blinzle, um sie scharf zu sehen, was mir aber nicht gelingt. Sie war siebzehn. »Das Kleid hattest du an, als ich dich endlich gefragt habe, ob ich dich nach Hause begleiten darf.«
»Nein. Dieses Kleid hatte ich an, als ich dich gefragt habe.«
Ich muss lächeln. Das ist eine Geschichte, die wir oft in Gesellschaften zum Besten gegeben haben, die Geschichte unserer ersten Verabredung. Im Laufe der Jahre haben Ruth und ich gelernt, sie gut zu erzählen. Hier im Auto fängt sie genauso an wie früher für unsere Gäste. Ruth legt die Hände in den Schoß und seufzt, ihre Miene schwankt zwischen gespielter Enttäuschung und Verwirrung.
»Zu dem Zeitpunkt war mir klar, dass du niemals
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