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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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bin ich nicht.«
    Sie ließ sich nicht beleidigen, auch nicht von ihrem Vater.
    »Widersprich mir nicht. Du bist meine Tochter. Eine Tochter widerspricht ihrem Vater nicht.«
    Er zitterte vor Zorn.
    »Ich bin alt genug.«
    »Ein Kindskopf bist du. Was weißt du schon? Du gehörst hierher, nirgendwohin sonst.«
    »Vater …«
    Er war außer sich, wütend über den Widerstand seiner Tochter. Seine Hände umschlossen die Lehnen des Stuhls, er hielt sich mit Gewalt auf seinem Platz zurück. Er hätte aufspringen, sie aus dem Zimmer werfen mögen.
    »Du wagst es …«
    »Es ist mein Ernst«, fiel sie ihm ins Wort.
    Er hörte seine Frau aufschluchzen und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Er verachtete sie. Der Zorn auf die Tochter richtete sich mit einem Mal auf seine Ehefrau, die seit Jahrzehnten in ihrem Kummer versunken dasaß und stumm litt, ein Mensch, vor dessen flüchtigster Berührung er sich ekelte.
    »Genug. Kein Wort mehr«, sagte er.
    Mit diesem abrupten Ende hatte sie nicht gerechnet. Sie presste die Hände auf den Tisch, damit keiner sah, dass sie zitterten.
    »Ich fahre nach New York«, wiederholte sie.
    Begriff er nicht, was sie sagte? Wie konnte sie weggehen, wenn er sich weigerte zu verstehen, dass sie weggehen wollte?
    »Was willst du dort?«, fuhr er sie an. Er hörte seine Frau unablässig schluchzen. Ihre Leidensbereitschaft war ihm zuwider. Seine Tochter hatte immerhin einen Willen, einen eigenen Kopf und ließ sich nicht gehen.
    »Leben.«
    Sie hauchte das Wort, es klang geheimnisvoll und weckte in ihr ein unbestimmtes tiefes Verlangen.
    »Das kannst du auch hier«, sagte er ruhig, als versuchte er einzulenken.
    »Nein, das kann ich hier nicht«, widersprach sie.
    Seine Augen begannen erneut zu funkeln. Ruth bebte am ganzen Leib.
    »Du wirst bei uns bleiben«, ermahnte er sie.
    »Ich werde gehen«, hielt sie dagegen.
    Sie sprach langsam, jedes Wort wie einen schweren Stein zwischen sich und den Vater schiebend, eine Mauer aufrichtend, eine für ihn und für sie unüberwindbare Grenze.
    »Schau dir deine Mutter an«, sagte er, »sie ist ganz blass geworden, weil du so unvernünftig daherredest.«
    Aber sie schaute nicht zu ihrer Mutter hinüber, sie wollte sich nicht von ihrem Vorhaben ablenken lassen.
    »Das tut mir leid«, sagte sie.
    »Es tut dir leid?«, rief der Vater empört. »Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?«
    Mit einem Mal stand er auf der Seite seiner Frau, tat so, als kümmere er sich um sie, als empfände er Mitleid mit ihr.
    »Es muss sein«, sagte sie.
    Mochte die Mutter auch in einen Weinkrampf ausbrechen, Ruth gab nicht nach. Aber die Mutter blieb leise schluchzend sitzen und starrte vor sich hin.
    »Wovon willst du leben?«
    »Ich werde arbeiten.«
    Da lachte er auf.
    »Du kannst nichts. Du hast nichts gelernt. Wie willst du von nichts leben?«
    Er schleuderte ihr den Satz entgegen wie einen schweren Sack, unter dem sie zusammenbrechen sollte. Er wollte sie demütigen, ihr den Hochmut austreiben, mit dem sie ihr Schicksal meinte in die Hand nehmen zu können. Aber sie duckte sich weg, machte sich klein und rollte sich zusammen.
    »Ich werde etwas finden«, sagte sie.
    »Etwas finden?«, fragte er voller Hohn.
    »Ja, eine Arbeit.«
    Sein kurzes Lachen klang metallisch, als würde ein Messer auf einen gekachelten Fußboden fallen.
    »Spätestens in zwei Tagen stehst du wieder vor meiner Tür und entschuldigst dich für dein Benehmen, für deine Unverschämtheit.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Du kommst zurück. Du wirst selbst sehen. Du kannst nichts. Du hast nichts gelernt.«
    Er hieb mit diesen Sätzen auf sie ein wie eine Krähe, die ihren Schnabel in das Fleisch eines Kadavers schlug.
    »Ich werde nicht zurückkommen«, wiederholte sie.
    Ich werde dir beweisen, was ich kann, dachte sie. Ich werde mich weder von dir noch von jemand anderem unterkriegen lassen. Ich werde es schaffen. Gegen deinen Willen. Ich lasse mich von dir nicht einschüchtern.
    Er wusste, dass sie, was sie sagte, ernst meinte, und er befürchtete, dass er, wenn er sie jetzt nicht zu sich zurückzwingen konnte, keine Macht mehr über sie haben würde.
    »Ist das dein Dank?«, schrie er.
    »Es ist mein Leben.«
    Sie hätte weinen mögen, sie war erschöpft, am Ende ihrer Kräfte.
    Ich habe ein Recht auf ein eigenes Leben, sagte sie sich. Ich werde gehen. Ich werde nicht zurückkommen. Ich werde leben.
    Er ließ sich in den Stuhl zurücksinken. Es hatte keinen Sinn, sich mit der Tochter zu streiten, er

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