Kein Paar wie wir
beide mit Hut, die Töchter liefen unmittelbar hinter ihnen, die Arme untergehakt. Zu Hause setzte sich der Vater an das Klavier, er war hungrig, er spielte Beethoven, die Mutter verschwand sofort in der Küche.
Vor der Mahlzeit wurde gebetet. Während sie aßen, sprach keiner ein Wort. Verstohlen beobachtete Ruth den Vater, lächelte zur Schwester hinüber und mied es, die Mutter anzuschauen. Alles wird anders sein, wenn ich es dem Vater gesagt habe, dachte sie, wenn die Wörter nicht mehr zurückzuholen sind.
Die Wörter würden eine Grenze ziehen zwischen dem, was war, und dem, was sein sollte, zwischen dem Kind und den Eltern, zwischen der Tochter und der Frau, zwischen der Pflicht und dem Wunsch, zwischen dem alten und dem neuen Leben. Die Eltern, das wusste sie, würden über sie enttäuscht, ja entsetzt sein. Ihr Herz pochte, und ihr Magen krampfte sich zusammen.
»Vater.«
Sie richtete sich auf, streckte den Rücken. Auge in Auge musste sie ihm begegnen. Er schaute sie an.
»Ja?«
»Ich möchte mit dir etwas besprechen.«
Was sie ihm sagen würde, überstieg das Fassungsvermögen der Eltern. Sie holte zu einem vernichtenden Schlag aus, und der Vater war darauf nicht im Geringsten vorbereitet, sie traf ihn ungeschützt. Aber sie hatte keine andere Wahl, sie hatte lange genug gelitten, sie hielt es zuhause nicht länger aus, sie musste fort.
»Nun?«
Sie zögerte, unsicher, ob sie sofort den einen Satz, der alles verriet, sagen oder ob sie einen Umweg nehmen sollte, dem Vater zuliebe, um ihn nicht gleich zu schockieren.
»Vater«, erklärte sie dann doch, »ich werde weggehen.«
Sie sagte es ruhig, freundlich. Aber der Satz zerhieb in ihren Ohren die Zeit. Es gab kein Zurück mehr.
»Wohin möchtest du gehen und mit wem, mit Viktoria?«
Er merkte nichts, für ihn war, was sie gesagt hatte, ein normaler Satz, die Ankündigung eines alltäglichen Wunsches. Rebellische Sätze waren ihm zuhause noch nicht zu Ohren gekommen.
»Nein, nicht mit Vika.«
»Mit Freunden?«
Warum fragte er?, dachte sie.
»Du verstehst mich nicht«, sagte sie mit schwacher Stimme.
Wollte er sie nicht verstehen? Wollte er sie quälen, zappeln lassen an der Schnur, die sie ausgeworfen hatte, um dorthin zu gelangen, wo ihre Zukunft begann? Kein Zorn. Kein Aufbrausen. Aber er wurde ungeduldig. Er mochte keine Unklarheiten.
»Rede nicht um den heißen Brei«, sagte er, »drücke dich klarer aus.«
Sie holte tief Luft, als wollte sie ins Wasser springen und erst am anderen Ufer wieder auftauchen. Nichts konnte schiefgehen, sie hatte den Satz oft genug vor dem Spiegel geübt.
»Ich gehe nach New York«, sagte sie mit bebender Stimme. Aufregung und Angst lagen darin, über den Mut, den sie besaß, über das Selbstvertrauen, das sie vorantrieb, über die Aussichten, die sich ihr mit einem Mal auftaten. Um sie herum standen noch alle Dinge an ihrem gewohnten Platz. Sie wunderte sich darüber. Aber was hatte sie erwartet? Dass die Wände einstürzten? Sie liebte den Namen der Stadt, New York, sie konnte ihn ständig wiederholen, er flößte ihr Kraft ein, Zuversicht und Hoffnung. Sie schaute ihren Vater an.
»Was soll der Unsinn?«
Die Frage fuhr wie eine Windböe daher, die alles, was dem Vater nicht passte, vom Tisch, aus dem Zimmer, aus dem Haus fegte.
»Ich meine es ernst, Vater!«, sagte sie.
»Nach New York möchtest du gehen?«
Er sagte das höhnisch und drohend, er kannte New York nicht, war nie dort gewesen und hatte auch nicht den Wunsch, nach New York zu gehen.
»Ja.«
Es klang bestimmt und leichthin, als ginge es um Alltägliches. Sie mochte den Vater nicht unnötig provozieren.
»Unsinn«, herrschte er sie an.
Seine Augen funkelten. Für ihn war das Gespräch beendet. Aber sie gab nicht auf.
»Es ist mein Ernst, Vater«, beteuerte sie.
»Dein Ernst?«, erwiderte er. »Du bleibst hier. Wie kommst du darauf, nach New York gehen zu wollen?«
Er betonte jede Silbe und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, auf denselben Tisch, an dem sich die Schwestern Jahrzehnte später Tag für Tag gegenübersaßen. Sie war erstaunt darüber, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern ließ. Er tat ihr fast leid, sie spürte, dass sie stärker war als er, dass er den Kampf schon verloren hatte. Sie hätte vor Freude und Aufregung auflachen mögen.
»Ich will mein eigenes Leben führen.«
Ihre Stimme war sanft, ein klarer Fluss.
»Du bist verrückt geworden.«
Sein Gesicht wurde rot. Er starrte sie an.
»Nein, das
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