Kein Schatten ohne Licht
ab.
Seine Frage brachte Melica zum Grinsen. „Hast du eigentlich ein Problem mit deiner Hautfarbe oder warum reitest du andauernd darauf herum?“
„ Du kannst ja sprechen?“
„ Hat dir niemand beigebracht, dass man eine Frage nicht mit einer weiteren Frage beantworten sollte?“
„ Glaubst du wirklich, du wärest die Richtige, um mir solche Vorwürfe zu machen?“
„ Wenn nicht ich, wer sonst?“, entgegnete Melica ruhig, bevor sie Timon grinsend ansah. „Du bist echt gut. Ich verstehe wirklich nicht, was Isak an dir auszusetzen hat.“
Wenn Melica es nicht besser wüsste, würde sie sagen, dass Timon für einen kurzen Augenblick betroffen wirkte. Nur gut, dass sie es besser wusste. Denn an ihrem Satz gab es nun einmal nichts, das ein solches Gefühl hervorrufen würde.
Ein Klopfen hallte durch den großen Raum.
Melica wusste sofort, wer dort vor der Tür stand. Nicht, weil sie hellseherisch, telepathisch oder sonst irgendwie begabt war. Sondern einfach, weil Isak der einzige Schattenkrieger im gesamten Antrum war, der es als nötig erachtete, anzuklopfen.
„ Du kannst reinkommen, Isak!“
Es war nicht Isak.
„ Frederick?“, begrüßte Melica den großen Mann mit noch intakter Blutlaufbahn erstaunt. „Was machst du denn hier? Haben die dich endlich rausgeworfen?“ Ihre Frage war als Scherz gemeint, klang jedoch wie der Anfang einer missratenen, viel zu depressiven Trauerrede.
Frederick besetzte bei der Polizei den mit Abstand höchsten Rang, war einzig und allein der Regierung unterstellt und tauchte normalerweise nur dann im Antrum auf, wenn etwas passiert war, das nicht an die Ohren und Augen der weiten Bevölkerung dringen durfte. Dinge, die schrecklich waren und ohne den geringsten Zweifel mit Dämonen in Verbindung standen.
Melica brauchte nur einen kurzen Blick auf Fredericks düstere Miene zu werfen, um sich sicher sein zu können, dass sich eines eben dieser Dinge ereignet hatte und dass die Leichtigkeit, die Timon für kurze Zeit heraufbeschworen hatte, wohl schon bald verschwunden sein würde.
„ Ich wollte eigentlich zuerst Gregor Bescheid geben“, begann Frederick und blieb verlegen etwa einen Meter von ihr entfernt stehen. „Doch egal, wo ich ihn auch gesucht habe, ich konnte ihn nicht finden! Und Isak ist genauso verschwunden! Tut mir leid, Melica, ich weiß, wie sehr du es hasst, gestört zu werden, aber-“
„ Sag doch einfach, was du willst!“, unterbrach Melica ihn.
Frederick zögerte. Er atmete tief ein und als Melica kurz lauschte, konnte sie sogar seinen Herzschlag hören, so laut und unregelmäßig hallte er durch die Bibliothek. „Ich... wir haben ein Problem, Melica. Diana scheint sich nicht länger damit zufriedenzugeben, einfach wahllos irgendwelche Menschen zu entführen, um dich nervös zu machen. Sie und Vany haben in diesem Moment eine ganze Synagoge auf Djerba in ihre Gewalt gebracht. Sie sagen, zu jeder vollen Stunden wollen sie einen ihrer Geiseln töten. Sie sagen, sie würden in 15 Stunden damit beginnen. Und sie sagen, sie werden erst damit aufhören, wenn du zusammen mit ihnen von dort verschwindest.“
Fredericks Worte waren schon lange an Melicas Ohr gedrungen, doch verstanden, was genau der Mann meinte, hatte sie erst viele Momente später. Dann aber, als sie endlich begriff, wovon Frederick sprach, fühlte Melica sich, als stände sie vor bei einem Abgrund auf unaufhaltsam vor sich hin bröckelndem Boden. „Oh Gott“, hauchte sie und verzog schmerzlich das Gesicht. Sie war wie in Trance, vollkommen schockiert und völlig überfordert.
Zu wissen, dass tagtäglich die schlimmsten Verbrechen verübt wurden, war schrecklich, ja, doch es war nichts zu der alles umfassenden Verzweiflung, die sie nun empfand. Himmel nochmal – sie war doch gerade einmal erst 18 Jahre alt geworden! Mit 18 sollte man Spaß haben, lachen und glücklich sein! Und nicht mit solchen Tatsachen konfrontiert werden. Ein Zittern überfiel Melicas Körper und obwohl sie wirklich alles tat, was in ihrer Macht stand, schaffte sie es nicht, es abzustellen. Sie konnte das nicht, wollte das nicht! Natürlich hatte sie gewusst, dass Diana sich nicht ewig damit begnügen würde, hin und wieder einige Menschen zu Luzius zu bringen, aber niemals hätte sie gedacht, dass Diana so schnell die Geduld verlieren würde! Was sollte sie denn jetzt tun?
Melica atmete tief ein, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Es brachte rein gar nichts. Melica schloss die Augen. Es war nicht das erste
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