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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Guenter
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gesagt, man könne nur jemanden richtig hassen, den man davor geliebt hat. Ich glaube, er hatte recht. Denn wirklichen Hass bringe ich nur Isak entgegen. Hörst du das, Onkel? Ich hasse dich. Mit jeder Faser meines Herzens.“ Dann schloss sie die Augen, lehnte sich in ihrem Sitz zurück.
    Timon sprach noch weiter eindringlich auf sie ein, doch sie war fertig mit ihm. Seine Worte wurden immer leiser, klangen, als entferne sie sich langsam von ihm. Dies war alles, was sie wollte. Und irgendwann gelang es ihr tatsächlich, einzuschlafen.

~*~
    Eigentlich hatte sie geplant, sofort in ihrem Zimmer zu verschwinden und dieses auch niemals wieder zu verlassen. Eigentlich hatte sie geplant, mit keiner Seele ein Wort zu sprechen und dieses auch niemals wieder zu tun. Eigentlich hatte sie geplant, nicht zu lachen und dieser Beschäftigung auch niemals wieder nachzugehen. Zwei dieser Ziele konnte sie getrost vergessen.
    Das Schicksal hatte ihr so viel Glück gegönnt wie auch sonst immer. Gar keines. Denn von all den Dämonen, die an diesem Tag Pförtnerdienst hätten haben können, war es ausgerechnet Yvonne, die ihnen entgegenlief.
    Seit Melica nach Tunesien aufgebrochen war, hatten sie sich nicht mehr gesehen. Was in Melicas Augen nichts Besonderes, in Yvonnes Welt jedoch eine Katastrophe war. In den letzten Monaten hatte sie an ihr gehangen wie eine Klette. Ob sie nun neben ihr in der Bibliothek gesessen und ihr dabei zugesehen hatte, nichts zu tun oder aber im Speisesaal und ihr dabei zugesehen hatte, genauso wenig zu tun – wo Melica war, da war auch Yvonne. Und Melica würde jedem, der sie danach fragte, versichern, dass das sogar noch gruseliger gewesen war, als es ohnehin schon klang.
    „ Du lebst ja noch!“, rief Yvonne vorwurfsvoll.
    „ Scheint so“, brummte Melica unglücklich. Sie war sich nicht ganz sicher, ob Yvonne sie umarmen wollte. Deshalb warf sie ihr schnell einen Blick zu, so kalt und abweisend, dass er jegliches Interesse daran sofort auslöschen würde. „Kannst du vielleicht auf den kleinen Kerl da aufpassen? Ich traue Timon und dem Mistkerl daneben nicht länger über den Weg.“ Sie war sich so sicher, dass Yvonne nicken würde, dass sie diese Reaktion gar nicht erst abwartete. Stattdessen schritt sie an den anderen vorbei und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Sie brauchte ihre Ruhe so dringend wie ein Mensch seine Luft zum Atmen.
    Auf halbem Wege schien es jedoch so, als wolle das Schicksal sie am liebsten ersticken sehen. Gregor stand so plötzlich vor ihr, dass Melica vor Schreck zusammenfuhr. Erschrocken stierte sie an. „Machen Sie das ja nicht noch einmal!“
    Im ersten Moment sah Gregor aus, als wolle er sie für ihre Worte zurechtweisen. Er entschied sich jedoch anders. „Warum sind Sie schon wieder zurück? Haben Sie etwa gemerkt, dass dieser Nayiga nur Unwahrheiten verbreitet?“
    Statt einer richtigen Antwort zeigte Melica nur in die Richtung, aus der sie gekommen war, und ging weiter. Das hieß, sie versuchte, weiterzugehen. Denn Gregor wäre nicht Gregor, wenn er ihr einfach ohne Weiteres ihren Willen gelassen hätte. „Was wollten Sie mir mit Ihrer verwirrenden Handbewegung sagen?“
    „ Dass Sie in die Eingangshalle gehen sollen, falls Sie Fragen haben. Wenn Sie Glück haben, erwischen Sie Timon und Isak noch.“
    Ein Griff schraubte sich um Melicas Oberarm. Ein Blick nach unten zeigte Gregors faltige Hand. „Ich fürchte, Sie werden mitkommen müssen, meine Liebe.“
    „ Warum? Ich kann Ihnen nicht helfen! Ich weiß nichts! Ehrlich nicht!“
    „ Sie sind ein Mitglied des Inneren Zirkels. Und als solches ist es Ihre Pflicht, an allen existenziellen Veranstaltungen und Entscheidungen teilzunehmen.“
    „ Dann trete ich eben aus. Mochte dieses ganze Zeug sowieso noch nie.“
    „ Sie wissen doch von der Unmöglichkeit, selbstständig auszutreten. Entweder wird einstimmig von den anderen Mitgliedern beschlossen, dass Sie nicht länger tragfähig sind oder aber Sie warten bis zu den Neuwahlen in 15 Jahren.“
    15 Jahre? Das war ihr neu. Warum hatte ihr denn niemand gesagt, dass sie eine halbe Ewigkeit im Zirkel verbringen musste? Zugegeben, die Chancen standen gut, dass sie diese 15 Jahre gar nicht überlebte, doch es war trotzdem ungerecht, sie nicht im Voraus darüber aufzuklären. „Ich werde trotzdem nicht mitkommen.“
    „ Vielleicht sollten Sie dann wissen, dass es mir als Zirkeloberhaupt jederzeit zusteht, Sie aus dem Antrum zu verweisen.“
    Na, wenn das so

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