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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Guenter
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Isak gekonnt und wandte sich stattdessen an Timon: „Du hast den Jungen aus einem Waisenhaus entführt?“
    Der Themenwechsel schien Timon ein wenig aus der Fassung zu bringen, denn seine Antwort kam ein wenig verzögert: „Ja. So kann man es ausdrücken.“
    „ Achso.“ Melica nickte. Dann riss sie ihre Augen weit auf, starrte schockiert auf etwas, das sich hinter Timon und Isak befand. „Was zur Hölle-“, sie brachte ihren Satz nicht zu Ende. Aus rein dramaturgischen Gründen. Eine Frage wirkte einfach viel dramatischer, wenn sie nicht ganz gestellt wurde. Ihr Plan ging auf.
    Isak und Timon fuhren herum und Melica stürzte vor, auf das Bett zu und riss den Jungen in die Höhe. Ein kurzer Schwächeanfall ließ sie beinahe zu Boden fallen, doch wie durch ein Wunder gelang es ihren Füßen, sie problemlos in Richtung Zimmertür zu tragen. Ein Gefühl des Leichtsinns hatte die Kontrolle über ihren Körper gelangt, sie fühlte sich frei, übermütig, unzerstörbar. Das war es also, das die Superhelden aus den Comics dazu veranlasste, nach jedem Rückschlag aufzustehen und immer wieder weiterzumachen. Das Wissen, etwas zu bewirken, zu helfen und einfach zu spüren, dass man im tiefsten Inneren gut war, war berauschend. Sie -
    Der Schlag auf ihren Hinterkopf kam überraschend. Die Dunkelheit tat es nicht. Sie breitete die Arme nach ihr aus und empfing sie wie eine alte Freundin. Vertraute Umarmung.

~*~
    Wenn sich früher jemand vor ihr darüber beschwert hatte, dass sein Leben zu langweilig wäre, war ihre Reaktion immer gleich ausgefallen. Sie hatte ihm einen Vogel gezeigt und dabei ziemlich böse gelacht. Schon damals hatte sie einfach nicht verstehen können, was an einem durchschnittlichen Leben auszusetzen war. Im Gegensatz zu ihren Freunden hatte sie niemals James Bond oder Lara Croft sein wollen. Wie ironisch, dass nun gerade sie diejenige war, die mit einem Knebel im Mund aufwachen durfte. Zudem waren ihre Hände hinter ihrem Rücken gefesselt, genau wie auch ihre Beine. Wäre es nicht so lächerlich gewesen, hätte das Melica vielleicht sogar Angst gemacht. So jedoch ließ die Erkenntnis nichts als ätzende Giftigkeit in ihr aufsteigen.
    Während sie versuchte, ihren Mund durch alle möglichen seltsamen Verrenkungen von dem Knebel zu befreien, wanderte ihr Blick hilfesuchend durch den Raum. Sie befand sich noch immer in diesem altmodisch eingerichteten Hotelzimmer. Es sah freundlicher aus, als sie es in Erinnerung hatte. Was wahrscheinlich an den Lichtstrahlen lag, die durch das große Fenster ins Zimmer drangen und jeden Winkel eroberten. Melica schluckte trocken, als ihr bewusst wurde, was das bedeuten musste. Sie hatte eine ganze Nacht verschlafen. Oder war ohnmächtig gewesen, je nachdem, wie man es auch bezeichnen wollte.
    Melica blieb jedoch keine Zeit, sich großartig darüber aufzuregen. Der kleine Junge, den Timon Liam genannt hatte, saß auf einem Sessel neben ihrem Bett. Er musste bemerkt haben, dass sie inzwischen ihr Bewusstsein zurückerlangt hatte, denn er musterte sie offen.
    „ Traurig“ war das erste Wort, das Melica in den Sinn kam. Er sah traurig aus. Seine hellen Augen wirkten so, als hätten sie bereits zu viel gesehen, zu viel erfahren, zu viel Schmerz gespürt. So sollte ein kleiner Junge nicht in die Welt blicken. Und obwohl sie diejenige war, die gefesselt und geknebelt und er vollkommen frei war, hatte sie Mitleid mit ihm. Sie versuchte ein Lächeln. Es missglückte, weil der Knebel jede größere Bewegung rigoros verhinderte.
    Ihr blieb also einzig und allein ihr Blick, um ihm zu signalisieren, dass er sie befreien sollte. Was gelinde gesagt ziemlich offensichtlich war. Eigentlich hätte er doch schon von selbst darauf kommen können oder etwa nicht? Jetzt, wo sie darüber nachdachte... was stimmte eigentlich nicht mit dem Kerl? Warum half er ihr nicht von selbst? Das würde man doch tun, wenn man irgendeiner gefesselten Person begegnete oder etwa nicht? Melica versuchte es trotzdem mit der „Ich-starre-dich-so-lange-auffordernd-an-bis-du-meine-Fesseln-löst“-Taktik.
    Mit dem bemerkenswerten Erfolg, dass Liam seinen Kopf schief legte und zurückstarrte. Offenbar verstand er diese ganze Sache falsch. Das hier sollte doch kein Blickduell werden!
    Die Tür erlöste Melica von ihrer Verzweiflung, denn als sie sich öffnete und Isak und Timon sichtbar wurden, machte sich ein ganz anderes Gefühl in ihr breit. Pure, alles und jeden umfassende Enttäuschung. Schmerz. Isak war

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