Kein Schatten ohne Licht
Kopfschütteln war das überzeugendste, das sie in den letzten Jahren hervorgebracht hatte.
„ Du siehst doch, dass es ihr gut geht. Misch dich einfach nicht ein“, erklärte Isak dem Mann unfreundlich, bevor er Melica an der Schulter packte und in Richtung Ausgang zog.
Diese wollte dem Mann noch ein beruhigendes Lächeln zuwerfen, scheiterte aufgrund des Knebels jedoch kläglich. So zuckte sie nur mit den Achseln, schritt unbeirrt neben Isak her.
„ Miss!“ Die Stimme des alten Mannes drang hinter ihnen her. „Bist du dir sicher, dass du die Männer freiwillig begleitest? Du kannst es mir sagen! Ich werde dir schon helfen können!“
Weil Isak Melica unbeirrt weiterschob, konnte sie nicht sehen, was Timon tat. Mit einem Mal war der Mann jedoch still.
Als die erste Träne über ihr Gesicht rann, nahm sie es gar nicht wahr. Die zweite und dritte raubten ihr die Sicht. Und während sich die vierte Träne ihren Weg über ihr Gesicht suchte, schluchzte Melica auf. Vorbei war es mit ihrem Stolz. Den hatten Isak und Timon ihr gestohlen. Sie hatten ihn auch verdient, schließlich hatten sie geschafft, was ihren Eltern, Zane, Damian und Diana niemals gelungen war: sie hatten Melica endgültig gebrochen.
Vielleicht hätte es sie wundern sollen, dass sie zurück zum Jet fuhren. Vielleicht hätte es dies auch nicht tun sollen. Wie auch immer. Mit unbewegtem Gesicht saß sie in ihrem Sitz und starrte aus dem Fenster. Ihre Handgelenke brannten unangenehm und stachen ihr in den Rücken. Kaum zu glauben, dass selbst Dämonen von solch belanglosen Schmerzen gequält wurden.
Kaum hatte sich das Flugzeug in Gang gesetzt, stand Timon vor ihr. „Steh mal eben auf“, forderte er sie auf. Melica war willenlos wie ein Blatt Papier, erhob sich sofort. Mit einer Bewegung des Zeigefingers bedeutete Timon ihr, sich umzudrehen. Dann löste er ihre Fesseln.
Endlich waren ihre Hände frei. Ihre Haut juckte an den Stellen, in denen sich das Seil bis in ihr Fleisch geschnitten hatte, doch sie würde sich wohl kaum darüber beschweren. Den Blick eisern zu Boden gerichtet, setzte sie sich zurück. Erst jetzt hob sie ihre Arme und entfernte den Knebel aus ihrem Mund. Das Band fiel unbeachtet zu Boden. Und Melica wandte das Gesicht ab und starrte zurück aus dem Fenster.
„ Wir haben dich nicht gern gefesselt“, erklärte Timon und aus den Augenwinkeln sah Melica, dass er sich ihr gegenübersetzte. „Doch ich kann auch nicht behaupten, dass ich es bereue. Es war notwendig.“
Melica hörte zwar, was er sagte, doch seine Worte ergaben für sie keinen Sinn. Sie versuchte nicht einmal, sie zu verstehen. Es war ohnehin belanglos.
„ Du bist wie Isak“, sprach Timon weiter. „Charakterlich seid ihr gleich. Gut und stark. Im Gegensatz zu dir versteht er aber, dass man auch manchmal das Falsche tun muss, um das Richtige zu tun. Er ist kompromissbereit. Du nicht. Noch bist du wahrscheinlich der Meinung, dass wir dich anders behandeln müssten. Du bist schließlich die Hexenprinzessin und so. Aber irgendwann wirst auch du es verstehen. Du wirst sehen, dass wir keine andere Wahl hatten. Hätten wir nicht verhindert, dass du wegläufst, wäre unsere ganze Reise umsonst gewesen. Wir konnten nicht zulassen, dass du mit Liam verschwindest. Es wäre zu gefährlich. Für uns und vor allem für euch.“
Melica hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, doch irgendwann war auch ihr Wille einfach nicht mehr stark genug. Sie hatte begonnen, zuzuhören. Nun bereute sie es von ganzem Herzen. Wie gerne hätte sie doch vor den Nayiga auf den Boden gespuckt oder ihm wenigstens gegen das Schienbein getreten! Doch dies hätte bedeutet, dass sie verstanden hatte, wovon er sprach. Diesen Triumph durfte sie ihm nicht gönnen.
Es kostete sie alle Kraft, teilnahmslos zu bleiben. Doch sie schaffte es. Ihr Gesicht glich dem Zanes, während sie an Timon vorbeiblickte, als wäre er nicht mehr als Luft.
„ Es ist kindisch, uns jetzt dafür zu hassen“, verkündete Timon. „Wir haben nichts Unrechtes getan.“
Das Schnauben sprang von ihren Lippen, bevor sie auch nur die leiseste Chance hatte, es zurückzuhalten. Ihr Plan war dahin. „Ich hasse euch nicht.“ Da es ohnehin nichts mehr brachte, die Gehörlose zu spielen, konnte sie dies auch gleich klarstellen. „Ich verabscheue dich, Timon. Ich kann nicht glauben, dass du mich nur benutzt hast. Doch hassen tue ich dich nicht“, mit jedem Wort, das sie sprach, wurde ihre Stimme lauter. „Irgendjemand hat mal
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