Kein Schatten ohne Licht
getan, das sah sie ja wirklich ganz deutlich. Und warum war sie dann nicht tot? Hätte er nicht einmal sein Wort halten können?
„ Es macht Falten, wenn man sein Gesicht so extrem verzieht.“ Wenn es jemals einen Weltrekord im Augenaufreißen gegeben hatte, dann hätte Melica ihn in diesem Moment gebrochen. Sie fuhr in die Höhe, riss ihren Kopf zur Seite und starrte den blonden Mann an, der dort neben ihrem Bett saß.
Tizian. In der Zwischenzeit von seinem wilden Bart befreit, sah er fast schon normal aus. Fast. Seine Augen wirkten genauso müde wie bei ihrer letzten Begegnung. Im Gegensatz zu ihrer Erinnerung funkelten sie jedoch, strahlten sie regelrecht an. „Du bist großartig!“
„ Ich... was?“ Unter normalen Umständen hätte sie sich wahrscheinlich über solch ein Kompliment gefreut. In diesem Moment war sie allerdings nur verwirrt.
„ Du hast Luzius besiegt! Ohne dich säße Gregor gerade nicht daran, Luzius auf ewig an die Hölle zu ketten! Dank dir ist es vorbei!“
Achso. Davon sprach er also. Melica konnte ein schweres Seufzen nicht zurückhalten. „Übertreib es nicht. Das Einzige, was ich getan habe, war, damit einverstanden zu sein, zu sterben. Und das ist auch keine besondere Leistung, wenn man bedenkt, dass die Alternative lautete, alle Menschen töten zu lassen.“
„ Du weißt genau, dass das Bullshit ist“, widersprach Tizian aufgeregt. „Hättest du Stefan nicht dein Messer gegeben, hätte Luzius die beiden schneller erledigt, als du Stopp sagen könntest.“
Da war einer aber besonders gut informiert. „Hat dir Stefan auch erzählt, dass ich diese Aktion genau zwei Sekunden später bereut habe?“
„ Nee. Aber das heißt doch nichts! Luzius hatte dich komplett unter seiner Kontrolle! Es ist bewundernswert genug, dass du überhaupt so viele wache Momente hattest!“
„ Gegen meinen Sturkopf kommt halt niemand an.“ Zum ersten Mal schlich sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen. Es war voller Ironie. „Okay. Du hast recht. Ich bin schon ziemlich toll. Eigentlich verdienst du es gar nicht, mit mir zu reden. Ich bin eine absolute Heldin!“
„ Du musst es ja nicht gleich so übertreiben!“, erwiderte Tizian abschätzig. „So schwer war es auch wieder nicht, Luzius dem Erdboden gleichzumachen!“
Melica blickte ihn triumphierend an. „Sag ich doch! Luzius hat sich selbst umgebracht! Damit habe ich nichts zu tun. Und ich finde auch nicht, dass das irgendetwas ist, worauf man stolz sein sollte.“
„ Du vergisst eine ganz bedeutende Sache, Melica“, antwortete Tizian nach einigen Augenblicken des Überlegens. „Luzius ist wegen dir gestorben. Er hätte sich nicht umgebracht, hätte er dich nicht geliebt.“
Melica starrte Tizian an. Sie blinzelte verwundert. „Das habe ich vollkommen vergessen“, murmelte sie dann. Ihr Hass auf Luzius schwand. Von einer Sekunde auf die andere war er einfach nicht mehr da. Stattdessen nahm eine Verwirrung seinen Platz ein, eine Verwirrung, die man Melica bis zur Nasenspitze ansehen konnte.
„ Was ist los?“, fragte Tizian besorgt.
Melica starrte noch immer. Ihre Gedanken stoben umher. Es schien so, als müssten sie sich erst daran gewöhnen, nur ihr allein zu gehören. Vielleicht waren sie deshalb so ungewohnt träge. „Luzius hat mich nicht geliebt“, sagte sie dann leise. „Das war keine Liebe. Es war Besessenheit. Warum Tizian? Warum bin ich so wichtig für ihn gewesen?“
„ Du bist es, die ihn auf die Erde geholt hat. Es sind deine Kräfte, die ihn am Leben gehalten haben. Luzius hat nicht gelogen, als er gesagt hat, dass es zwischen euch eine Verbindung gegeben hat. Wahrscheinlich hat er diese Verbindung stärker gespürt als du“, antwortete Tizian, bevor er sie fragend anblickte: „Erinnerst du dich überhaupt inzwischen wieder?“
Melica schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß nur das, was du mir in Zimmer 610 verraten hast.“
Erstaunen huschte über Tizians Gesicht und er stand sofort von seinem Stuhl auf. „Ich bin definitiv der Falsche, um dir von dem Plan zu erzählen. Ich hab ja selbst gerade erst davon erfahren. Aber ich werde Jane Bescheid sagen, ja?“
Jane? Oder Zane? Melica war verwirrt. „Wem?“ Warum mussten diese beiden Namen auch so ähnlich klingen?
„ Jane“, antwortete Tizian. „Deine Mummy, weißt du noch? Zane hat das Antrum verlassen.“
„ Was hat denn Mama mit dem Plan zu tun?“
Tizian blieb ihr die Antwort schuldig. Er schenkte ihr nicht mehr als ein Grinsen, bevor er
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