Kein Schatten ohne Licht
schuldbewusst zusammen. „Es tut mir leid“, sagte er kleinlaut. „Doch es ist mein Ernst. Melicas Hexenkräfte sind es, die mich und auch sie am Leben halten. Die Kraft ist in mir, doch sie ist noch immer mit Melica verbunden. Stirbt Melica, sterben auch die Kräfte und damit auch ich. Umgekehrt ist es genauso.“
Zum ersten Mal fing Melica Zanes Blick auf. Es war, als ob es auf dem tosenden Meer mit einem Mal vollkommen windstill wurde. All die Unruhe, all die Angst fiel von Melica ab, stattdessen war da Ruhe, dieses absolute Aussetzen der Zeit und Schwerkraft, das wie Balsam für ihre Seele wirkte.
Auch Zane schien diesen seltsamen Umschwung zu bemerken, denn sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er sah beinahe fragend aus, wie er dort stand, mit verschränkten Armen und erhobener Augenbraue. Es dauerte einen Moment, bis Melica begriff, dass er sie um Rat fragte, doch als sie es tat, traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag.
Die Schattenkrieger würden sie nicht ohne mit der Wimper zu zucken töten, nur, um Luzius loszuwerden. Sie sorgten sich um sie, wollten nicht, dass sie starb. Welch andere Erklärung gab es dafür, dass Lockenkopf ihr nicht schon längst den Kopf von den Schultern gerissen hatte? Sie lag ihnen tatsächlich am Herzen... Was mehr als nur Beweis dafür war, dass Tizian die Wahrheit gesagt hatte.
Melica musste nicht lange überlegen, um zu wissen, was sie zu tun hatte. Das Nicken, das sie Zane schenkte, war nur schwach, doch er sah es trotzdem. Er ließ sie für keine Sekunde aus den Augen, während er seine Hand zu seinem Gürtel wandern ließ und einen kleinen Dolch hervorzog. Er zögerte kurz, bevor er ihn Luzius reichte, aber er tat es trotzdem.
Luzius musterte die glänzende Klinge schweigend. „Ich versichere euch, dass sie sterben wird.“ Dann schüttelte er den Kopf. „Doch ihr habt recht. Melica und ich sollten lieber durch meine eigene Hand sterben als durch eure“, sagte er, bevor er den Dolch aus Zanes Hand nahm. Er richtete ihn direkt auf sein eigenes Herz. Suchte dabei ebenfalls Melicas Blick.
Diese drehte ihren Kopf zur Seite, starrte mit eiserner Miene auf die Wand. In einigen Augenblicken würde sie also sterben. Sie hatte sich schon viele Gedanken gemacht, doch noch keinen über den Tod. Doch vielleicht war das auch ganz gut so. Wenn man vollkommen erwartungslos in den Tod ging, konnte man wenigstens nicht enttäuscht sein.
Lockenkopfs freier Arm krallte sich unangenehm in Melicas Schulter, doch sie würde sich nicht die Mühe machen, ihn darauf aufmerksam zu machen. Es war doch sinnlos.
„ Ich tue das wirklich nur für dich, Melica.“ Luzius Worte sollten die Letzten sein, die sie jemals hören würde. Ein scharfer Schmerz, ätzender als die stärkste Säure, versengender als die lebhafteste Flamme. Die Dunkelheit legte ihren schwarzen Umhang schneller als geplant um ihre schmalen Schultern. Doch Melica lächelte. Schwarz. Wie Zanes Augen.
~*~
Der Tod roch nach Desinfektionsmitteln. Sauber und steril. Anders als erwartet. Enttäuschend, wenn man Kälte und Nässe erwartete. Mit einem Naserümpfen drehte Melica ihren Kopf zur Seite. Sie hatte den Tod immer mit Erde in Verbindung gebracht, mit dem feuchten, klammen Gefühl eiskalten, schwarzen Bodens. Doch ihr war warm. Viel zu warm.
Die Erkenntnis, dass irgendetwas nicht richtig war, traf sie spät, aber heftig. Tot konnte man nicht denken. Sie dachte. Die logische Schlussfolgerung gefiel ihr nicht. Nicht zu sterben, wenn man darauf vorbereitet war zu sterben, war ungerecht und falsch.
Melica wollte nicht leben. Nicht nachdem sie wusste, wie klein und schwach sie doch war. Luzius hatte sie ohne den geringsten Aufwand unter seine Kontrolle bringen können. Sie war vollkommen willenlos gewesen, gedankenlos wie eine verdammte Marionette.
Es war seltsam. Vor ein paar Stunden hatte sie noch geglaubt, ihn zu lieben. In diesem Moment hasste sie ihn. Mit jeder Faser, jeder Zelle ihres Körpers. Mit ihrem Willen hatte er ihr das Letzte genommen, das sie noch besessen hatte.
Wenn er nicht schon tot wäre, würde sie ihn eigenhändig umbringen. Und dann am liebsten noch einmal, zweimal, dreimal.
Melica spürte, wie sie von ihrer Wut davongetragen wurde, weit davon, an einen Ort, der mehr war als Wirklichkeit. Unbändiger Zorn wütete in ihrem Inneren, brannte und zerstörte. Selbst seine letzten Worte waren nicht mehr als eine Lüge gewesen. „ Ich tue das wirklich nur für dich, Melica.“ Natürlich hatte er das
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