Kein Sex ist auch keine Loesung
weiteren
Agenturen ähnlich angespannt zu, weil die nämlich zeitgleich aufgefordert sind, ihre Vorstellungen, wie die Markteinführung
von Cremands neuem Vanillepudding aussehen könnte, in Wort und Bild zu präsentieren. Ein branchenüblicher Wettbewerb, bei
dem es immer irgendwie um dasselbe geht: aus Scheiße Gold machen.
Das Produkt hat logischerweise neben den bewährten Eigenschaften – noch cremiger, noch sahniger, noch leckerer – keine wirklich
revolutionären Vorteile zu bieten, und es wird wohl kaum ohne den Einsatz verbrecherischer |37| Hilfsmittel möglich sein, langjährige Stammkunden zum Beispiel von «Roma Vanille»,
meinem
Lieblingspudding, umzupolen. Aber da es hier schließlich um ein Werbevolumen von einer Million Euro geht, muss man schon mit
harten Bandagen kämpfen, die anderen tun es schließlich auch.
Nebenbei bemerkt sind die Schlüsselreize, die schon seit Jahrzehnten den Verbraucher hinter seinem oft zitierten Ofen hervorlocken,
immer noch dieselben: glückliche Familien, kleine Kinder, schmusige Tiere und in besonders hartnäckigen Fällen auch mal Sex.
Die Präsentation soll nächsten Donnerstag in München stattfinden, und wir haben noch nicht einmal richtig angefangen. Jedenfalls
kommt es mir gerade so vor.
Rolf hat unser 1 4-köpfiges Team um fünf freie Leute verstärkt, die – im Gegensatz zu den Festangestellten – nicht den ganzen Tag damit beschäftigt sind,
wichtig und geschäftig auszusehen, sondern auch tatsächlich arbeiten. Rund um die Uhr entwerfen sie Verpackungen, bauen Dummys
und layouten Anzeigenkonzepte. Und obwohl wir vom ersehnten Ziel noch so weit entfernt sind wie Ikea von einer verständlichen
Aufbauanleitung, sieht Rolf der Sache gelassen entgegen. Zum Glück, kann man nur sagen, denn eine Präsentation in dieser Größenordnung
ist für alle Beteiligten Anlass genug, sich mal wieder so richtig gehenzulassen. Wem es nicht genügt, mit wichtiger Miene
durch die Gänge zu huschen, der nutzt die Gunst der Stunde, um Aufgaben zu delegieren, Hierarchien abzustecken und die bestehende
Rangordnung neu auszufechten. Wer sich nicht durchsetzt, landet auf den unteren Plätzen und |38| muss die Arbeiten erledigen, für die andere später das Lob einstecken. So ist das Agenturgeschäft, zum Überleben braucht man
ein dickes Fell.
«Habt ihr schon die beiden neuen Graphikerinnen gesehen? Die eine hat Beine wie Luca Toni, und die andere sieht aus wie Uschi
Glas in einer Gastrolle bei den Waltons.»
Kirsten, Etatdirektorin, trägt ihr Herz auf der Zunge und das Gift direkt darunter. Wer nicht das große Glück hat, ihr Freund
zu sein, ist logischerweise ihr Feind. Frauen wandern erst einmal automatisch in die zweite Kategorie. Vor allem, wenn sie
gut aussehen.
Ich vermute, es liegt daran, dass Kirsten bei einer Körpergröße von ungefähr einem Meter fünfundsechzig und der Oberweite
von zwei ausgewachsenen Bordercollies schätzungsweise 95 Kilo auf die Waage bringt. In Kombination mit ihrem messerscharfen Verstand und dem losen Mundwerk verschafft ihr dies zwar
einen gewissen Respekt, aber sie ist schlau genug, zu wissen, dass es Männern auf andere Dinge ankommt. Unter anderem jedenfalls.
Doch sie versteht ihr Handwerk und ist für meinen Geschmack, trotz ihrer enormen Oberweite, eigentlich eher ein Kerl. Das
macht die Zusammenarbeit mit ihr angenehm und entspannt, denn schließlich muss man nicht dauernd Strategien entwickeln, um
sie ins Bett zu kriegen. Völlig ungefährlich also für den reibungslosen Ablauf des Arbeitsalltags.
Mit knisternden Gewändern rauscht Kirsten an uns vorbei.
«Womit Frauen sich so den ganzen Tag unter Stress setzen. Und ich dachte, die sind genug mit ihren Hormonen beschäftigt.»
Marc schüttelt verständnislos den Kopf.
|39| «Schon, aber mal ehrlich», denke ich laut, «das Ganze hier würde doch ohne Frauen nur halb so viel Spaß machen, oder?»
Bei aller Panik vor Übergriffen auf private Kriegsschauplätze möchte man doch das Zusammenspiel der Geschlechter im Allgemeinen
nicht dauerhaft missen. Klaus bleibt da natürlich außen vor.
Da fällt mir plötzlich wieder sein Lauschangriff ein, auch wenn ich das Gehörte nach wie vor nicht ernst nehme. Zumal man
nicht annehmen sollte, dass Rolf uns diese Präsentation zumutet, wenn er den Laden sowieso schließen muss. Da wird sich unser
Vorzimmerfräulein wohl doch verhört haben.
Ich schaffe es gerade noch, mir einen
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