Kein Sex ist auch keine Loesung
Kaffee zu holen, bevor das Meeting losgeht. Dabei besteht die große Kunst darin, mindestens
einen pfützenähnlichen Rest in der Kanne zurückzulassen, sodass erst der nächste Benutzer neuen kochen muss. Ich schnappe
mir also den «vorletzten» Kaffee und setze mich in den Konferenzraum. Wider Erwarten bin ich nicht zu spät, denn die Leute
mit den wichtigen Mienen sind noch auf den Fluren unterwegs. Immer dasselbe. Ist man pünktlich, muss man warten, kommt man
zu spät, kriegt man einen Anschiss. Es wird also auch diesmal fast halb elf, bis endlich alle um den riesigen, runden Glastisch
versammelt sind, um mit versteinertem Blick – schließlich ist man für Wichtigeres bestimmt – vor sich hin zu starren.
«Also», beginnt Rolf gelassen und offenbar als Einziger gutgelaunt, «ich denke, wir haben genug Arbeit auf dem Tisch, sodass
wir heute nur brandaktuelle Dinge besprechen sollten.»
|40| Er blickt über die Gläser seiner randlosen Brille, während er fortfährt.
«Wie ihr sicher schon bemerkt habt, wurde unser Team kurzfristig um ein paar Damen und Herren ergänzt. Ich denke auch …» Er macht eine seiner berühmten Kunstpausen, die ich manchmal abends vor dem Spiegel einstudiere, man kann ja schließlich
nie wissen, wann man so etwas mal braucht. «… dass ihr euch schon gegenseitig bekanntgemacht habt oder es noch tun werdet und ich mir das folglich sparen kann.»
Er labert noch ein paar Minuten weiter. Ich schalte in |41| Stand-by-Modus und lasse meinen Blick gelangweilt durch die Runde alter und neuer Kollegen schweifen, bis ich
sie
entdecke. Zerzauste blonde Haare, leicht geöffneter Mund und ein Blick so fasziniert, als würde Rolf ihr gerade in fehlerfreiem
Swahili die Hydraulik eines Sattelschleppers erklären. Ein paar heimliche Nachforschungen in Klaus’ Personalordner haben ergeben,
dass sie Elisa heißt. E-li-sa. Wie sexy. Ich beginne, sie vor meinem geistigen Auge von störenden Kleidungsstücken zu befreien,
und stelle mir vor, wir würden im Mittelalter leben und ich wäre hier der Fürst und sie meine … Wie sagte man noch früher?
«To-hom!»
Ich zucke zusammen, bemüht um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck.
«Ijap?»
«Ich wollte eigentlich hier deine Namensvorschläge für den Pudding notieren.»
Mit dem Stift klopft Rolf auf ein Flipchart, wobei er eine ähnlich ausladende Bewegung macht wie ein Schülerlotse am Einschulungstag
und mich dabei erwartungsvoll ansieht.
Die Namensvorschläge! Das ist jetzt wirklich extrem blöd. Zwar habe ich gestern noch einen Moment über den Quatsch nachgedacht
und sogar schon den Funken einer genialen Idee gehabt, bin dann aber nach dem vierten Bier irgendwie wieder davon abgekommen.
Mist, verdammter.
In solchen Momenten führe ich zu meiner Verteidigung gern an, dass ich ja eigentlich Kontakter bin und mit diesem kreativen
Humbug normalerweise nichts zu tun habe. Aber seit ich ein-, zweimal ungefragt ein paar gute Anregungen beigesteuert habe,
werde ich nun regelmäßig für |42| diese Sachen missbraucht. Tja, zu viel Talent, ein hartes Schicksal.
Besonders unglücklich ist in diesem Fall jedoch, dass ich mich dazu habe hinreißen lassen, großspurig die Präsentation von
wenigstens fünf außergewöhnlich genialen Produktnamen anzukündigen.
Jetzt hilft nur improvisieren, was vormittags im Allgemeinen, und nach durchzechten Nächten im Besonderen, nicht gerade zu
meinen Tugenden zählt. Erwartungsvolle Gesichter verdunkeln sich, während ich mich Dinge stammeln höre wie «Bertas Bester»,
«Puddelmuddel», «Sahne-Sünde» und «Wie die Sünde».
Vorbei ist’s mit Rolfs erwartungsfrohem Schülerlotsengesicht. Seine Miene hat sich zu der eines Todeskandidaten gewandelt:
fassungslos, verzweifelt, ungläubig.
«Nun, wie ich Tom kenne, hat er den besten Vorschlag noch für sich behalten, stimmt’s, Tom?»
Rührend. Rolf glaubt immer bis zum Schluss an das Gute im Menschen. Mit dieser Eigenschaft hätte er besser Strafverteidiger
werden sollen. Ich hingegen meine mich zu erinnern, in dem Handbuch
Improvisieren leichtgemacht
gelesen zu haben, dass man in derart verfahrenen Momenten möglichst mit niemandem direkten Augenkontakt haben sollte. Deshalb
hefte ich der Einfachheit halber meinen Blick auf Elisas Busen. Ich bin der Fürst und sie meine …
«Courtisane. Ich meine, Courti plus Sahne. Leidenschaftlicher Genuss.»
Stille.
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|43| 4.
Ich wache auf und
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