Kein Tod wie der andere
schon nach sieben Uhr gewesen, und Buhle hatte durchaus Verständnis dafür, dass die Kollegen langsam nach Hause wollten. Sie hatten letzte Woche trotz Pfingstwochenende sicher ihre achtzig Stunden gearbeitet.
Gerhardts gab eine kurze Zusammenfassung der Rechercheergebnisse Alexander Altmüllers. Dessen Unterlagen belegten lediglich, dass das Institut für Virologie mit Viren experimentierte, die grundsätzlich biowaffentauglich seien. Da ihm das aber nie offiziell bestätigt wurde, war er misstrauisch geworden. Er hatte früher bereits jede Menge Material über die Gefahr biologischer Terroranschläge zusammengetragen und war deshalb wohl sensibilisiert gewesen. Die Verbindung von Reno zu Dardenne musste er wohl ganz zufällig bei einem Besuch in dem Echternacher Café entdeckt haben, weil er Reno als den Laboranten aus dem BSL -3-Labor wiedererkannte. Neu war für Buhle, dass die Fotos der beiden bei genauer Begutachtung zeigten, dass nicht nur eine CD ihren Besitzer gewechselt hatte, sondern auch ein Briefumschlag, der flach über den Tisch geschoben worden war – ein weiteres Indiz dafür, dass auf der CD keine harmlose innovative Jazzmusik gewesen war.
Altmüller hatte zudem herausgefunden, dass die Firma von Dardenne einen Unternehmensschwerpunkt im Bereich Prävention und Bekämpfung der Folgen von Biowaffeneinsätzen hatte. Es war also kein Wunder, dass der Journalist Altmüller eine spektakuläre Story gewittert hatte. Die Aufzeichnungen endeten tatsächlich mit dem Tod von Anne. Vielleicht hatte Hannah Sobothy recht gehabt, als sie mutmaßte, Alexander Altmüller könnte selbst für die Infizierung seiner Tochter verantwortlich gewesen sein.
Buhle gab Ducard auch diese Informationen weiter und fuhr bereits auf der Nordallee an der Porta Nigra vorbei, als er das Telefonat beendete. Er beschloss aufgrund der fortgeschrittenen Zeit, direkt nach Avelsbach zu fahren. Die Pendler schienen die Moselstadt schon wieder verlassen zu haben. Er benötigte jeweils nur eine Rotphase je Ampel, die er bis zum Avelertal passieren musste. Im vierten Jahr seiner Trierer Zeit hatte er sich mittlerweile an die roten Wellen auf den Hauptverkehrsstraßen der Römerstadt gewöhnt.
Es war den ganzen Tag bewölkt gewesen. Jetzt, als er die kurvenreiche Baltzstraße zur ehemaligen Arbeitersiedlung der Weinbaudomäne Avelsbach hinauffuhr, riss die Wolkendecke am Horizont ein wenig auf, und der kleine Weiler war in das stimmungsvolle Licht der einsetzenden Abendsonne getaucht. In diesem Moment wünschte Buhle sich sehnlichst, an den Straßenrand fahren und die Zeit einfach anhalten zu können. Stattdessen verbot er sich den Gedanken und versuchte, sich wieder auf das zu fokussieren, was er hier oben zu tun hatte. Als er in der Hauszufahrt hielt, war er voll auf das Treffen mit Nicole und Zoé eingestellt, ohne dass ihm in diesem Augenblick bewusst war, dass er sicher auch Marie treffen würde. So war er regelrecht überrascht, als sie ihm die Haustür öffnete und ausgesprochen herzlich begrüßte.
»Hallo Christian, schön, dass du da bist. Du siehst aber ganz schön müde aus.«
»Hallo, ja, ein anstrengender Tag. Ich war eben noch ganz in Gedanken. Die Kollegen haben eine Reihe neuer Informationen am Telefon durchgegeben, die ich noch gar nicht alle verarbeitet habe.«
»Kommt ihr voran?«
Buhle schaute Marie erst jetzt wirklich an. Ihre fast schwarzen Augen ruhten wie so häufig mit einer unglaublichen Sanftmütigkeit auf ihm, auch wenn er ihre Blicke schon ganz anders erlebt hatte. Sie trug ein weites Top über einer engen Jeans, aus der ihre nackten Füße hervorschauten. Sie zeigte sich von ihrer ganz persönlichen Seite, wie eigentlich immer in ihren eigenen vier Wänden. Er kannte das und mochte es sehr. Etwas anderes ließ ihn stutzen. Außer seinen Kollegen hatte ihm noch niemand diese Frage gestellt. Es hatte bislang niemanden gegeben, der dies als persönliche Frage an Christian und nicht den ersten Kriminalhauptkommissar Buhle gerichtet hatte.
»Christian, alles klar?« Marie Steyn hob die Augenbrauen, sodass sie fast hinter ihrem langen, schwarz gelockten Pony verschwanden, und lächelte, bis sich ihre Grübchen zeigten.
»Ich hatte … ich glaube, ich hatte nicht mit deiner netten Begrüßung gerechnet. Ich war gedanklich noch so in den Ermittlungen drin.«
»Na, dann werde ich mich mal bemühen, dass ich diesen unverhofft guten Eindruck nicht gleich wieder zunichtemache. Komm hoch.« Sie drehte sich
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