Kein Tod wie der andere
um und ging zur Treppe. Buhle schaute ihr einen Augenblick hinterher, dachte an seine Empfindungen beim Anblick von Avelsbach vorhin und erwartete, dass jetzt eine Art Hochgefühl in ihm aufsteigen müsste. Das geschah nicht. Er biss sich auf die Lippen und folgte ihr.
Marie Steyn führte ihn in die Küche und bot ihm etwas zu trinken und die Reste des Abendessens an. Die Apfelsaftschorle nahm er dankbar entgegen. Das Essen verschob er auf später. Er fragte nach Nicole und Zoé.
»Die sind oben in Noras Zimmer. Wir können gleich hingehen. Also mit Nicole habt ihr wirklich einen Goldschatz in eurem Team. Sie kann sich unheimlich gut auf Zoé einlassen, hat eine total gute Auffassungsgabe und ist dazu superengagiert ohne eine Spur Ehrgeiz. Einfach klasse.«
»Ja, ich weiß. Ich befürchte nur, sie wird bald weg sein. Wir können ihr in Trier momentan keine geeignete Stelle bieten.« Er dachte an Kollegen, die im fortgeschrittenen Alter mit ihrem Beruf abgeschlossen zu haben schienen und die er liebend gern durch Nicole Huth-Balzer ersetzen würde. Resigniert fuhr er fort: »Sie wird sicher nicht ewig bei der Bereitschaftspolizei auf eine Chance bei uns warten wollen.«
»Echt? Ich meine, ich weiß ja auch, wie schwer es bei uns an der Uni ist, gute Leute zu halten, aber ihr müsst euch da wirklich etwas einfallen lassen. Ihr könnt die doch nicht einfach gehen lassen.«
Buhle zuckte nur die Schultern. Er konnte nichts tun. Die Personalpolitik bei der Polizei war von oben gesteuert, die Aufstiegsmöglichkeiten wurden immer spärlicher. Wer da nicht sofort zugriff, wenn sich ihm eine Gelegenheit bot, konnte manchmal Jahre auf die nächste Chance warten.
Als Buhle Marie in das Kinderzimmer folgte, schauten ihn zunächst alle nur an. Nora grüßte kurz und wandte sich dann wieder ihrem Buch zu. Nicole sprach mit Zoé.
»Sieh mal, Zoé, da ist endlich der Kommissar. Wollen wir jetzt mit ihm runter zu deinen Bildern gehen? Dann kann Nora auch schon langsam ins Bett und in Ruhe lesen, ohne dass wir sie stören.«
Buhle war überrascht über die Reaktion des Mädchens. Zoé schaute Nicole Huth-Balzer direkt in die Augen, nickte und nahm noch ein weiteres Bild in die Hand. Dann standen beide auf, sagten Nora »Gute Nacht« und folgten Buhle und Marie. Unten setzten sich die beiden Polizisten an den Esszimmertisch, Zoé hockte sich auf Knien neben die Kriminalbeamtin, während Marie Steyn sich mehr im Hintergrund, aber in Hörweite hielt.
Das Gespräch begann für Buhle mit einem Paukenschlag.
»So, Zoé, wollen wir dem Kommissar erst mal erzählen, was wir schon alles besprochen haben?« Das Mädchen schien ganz auf Nicole Huth-Balzer fixiert zu sein und nickte ihr zu. »Gut, denn der Kommissar weiß noch gar nicht, dass wir dir schon erzählt haben, was mit deiner Mama geschehen ist.«
Zoés Blick wurde etwas trauriger, blieb aber fest. Buhle dagegen schaute seine junge Kommissarin erstaunt an. Sie berichtete, wie sie Zoé gefragt hatte, ob sie wüsste, wo ihre Mutter jetzt sei. »Bestimmt auch im Himmel bei Anne und Papa«, hatte sie geantwortet. Danach hatte Nicole Zoé erzählt, dass ihre Mutter nicht freiwillig dorthin gegangen sei, dass ihre Mutter sie nie einfach so alleingelassen hätte.
»Ja, Zoé, hier ist nun der Kommissar, dem du ein paar Fragen beantworten wolltest. Möchtest du das immer noch?«
Zoé hatte die ganze Zeit nicht von Nicole Huth-Balzer weggeschaut. Auch jetzt nickte sie nur ihr zu.
»Prima. Dann solltest du jetzt aber auch den Kommissar anschauen. Dann lässt es sich viel einfacher miteinander reden.«
Zoé zögerte ein wenig. Aber nachdem Huth-Balzer ihr noch einmal aufmunternd zugelächelt hatte, drehte sie sich zu Buhle hin und drückte sich dabei weiter in die Arme der jungen Polizistin.
Mit dieser Entwicklung hatte Buhle nicht gerechnet. Sofort wuchs in ihm die gespannte Erwartung, vielleicht erfahren zu können, ob Zoé etwas über den Einbrecher an jenem Abend nach dem Mord sagen könnte. Gleichzeitig wurde er unsicher, ob er in dem Gespräch mit dem Kind die richtigen Worte finden würde. Er versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Es waren im Wesentlichen zwei Dinge, die er wissen wollte. Hatte Zoé den Einbrecher gesehen? Wusste sie, wie Anne sich infiziert hatte? Als die beiden Frauen und auch das Mädchen ihn fragend anschauten, riss Buhle sich zusammen und wandte sich an Zoé.
»Erst einmal möchte ich mich ganz herzlich bei dir bedanken, dass du mit mir reden willst.
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