Kein Tod wie der andere
eines gehabt: Er hatte wissen können, dass Altmüller und Bonitzer ein Paar waren, er hatte einen Grund gehabt, Bonitzer zum Treffpunkt zu folgen und die Unterlagen, mit denen Suzanne an der Sauer unterwegs war, verschwinden zu lassen, ebenso wie die aus dem Büro des Journalisten. Aber sie konnten ihm nichts nachweisen.
Blieb als weiterer Protagonist Eric Dardenne. Aber an den kamen sie nicht ran. Er könnte der Mann auf dem Bild von Zoé gewesen sein. Sie hatten ihn gestern ebenfalls noch intensiv befragt, aber er war von seinen Darstellungen nicht abgewichen, hatte ihnen sogar diese Jazz- CD zeigen können und in Übereinstimmung mit Reno behauptet, in dem Umschlag wäre ein Fachartikel über die Gefahren in Hochsicherheitslaboren gewesen. Dieser Artikel fand sich im Institutsbüro von Reno. Eine Hausdurchsuchung brauchten sie bei der mäßigen Indizienkette erst gar nicht zu beantragen.
Er musste unbedingt mit Hannah Sobothy reden. Sie hatte alle Rechercheunterlagen Altmüllers, da war er sich sicher. Sie hielt Informationen zurück. Gab es rechtliche Mittel, die Radioreporterin zur Herausgabe der CD zu bewegen? Er nahm sich vor, am Montag mit Staatsanwältin Haupt darüber zu reden.
Egal wie er es drehte und wendete, er kam zu dem Ergebnis, dass sie im Fall Suzanne John-Altmüller als Indiz, als ein mögliches Motiv nichts hatten als die verschwundenen Unterlagen. Vielleicht hatte Suzanne als Mitwisserin mundtot gemacht werden sollen. Vielleicht hatte man sie beobachtet und ihr Zusammentreffen mit Bonitzer als günstige Gelegenheit erachtet. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.
Genauso hatten sie auch gestern bei ihrer Pressekonferenz ihre Ermittlungsergebnisse rübergebracht. Das Einzige, was sie wirklich als gesichert bekannt geben konnten, war der Grund für Annes Erkrankung, ohne dass sie die Herkunft der Viren hatten nennen dürfen. Ansonsten gab es nur den Hinweis auf die brisanten Recherchen des Journalisten als mögliches Motiv, zumindest ließen die verschwundenen Unterlagen das vermuten. Die damit verbundene Warnung an die Journalisten, die vielleicht ebenfalls an brisanten Themen in der Grenzregion arbeiteten, hatte teils Verwunderung, teils Unruhe bei den anwesenden Reportern ausgelöst. Die Bitte, dass diesbezügliche Informationen doch der Kriminalpolizei mitgeteilt werden sollten, blieb offensichtlich ungehört. Selbst die Mitteilung, dass es Zoé als letztem Mitglied der Familie Altmüller wieder besser gehe, sie in guten Händen sei und vielleicht schon bald in einer geeigneten Pflegefamilie dauerhaft wohnen könnte, hatte die Pressekonferenz nicht mehr gerettet. Entsprechend aufgeregt waren die Berichte in den Medien und der Druck, der nun von Polizeispitze und Staatsanwaltschaft auf die Soko zukam.
Es dauerte acht Stunden, bis Buhle alle Ermittlungsakten noch einmal durchgegangen war und an einigen Stellen ergänzt oder korrigiert hatte. Dann hatte er genug. Er musste raus, musste zumindest für einige Stunden an etwas anderes denken. Zu Hause zog er seine Laufsachen an und lief direkt los: über die zum Samstagabend ruhiger gewordene Saarstraße, unter den Eisenbahngleisen hindurch und dann entlang der Obstwiese und durch die Kleingartenkolonie zu den Mattheiser Weihern. Häufig begnügte er sich damit, die beiden Teiche zu umrunden und wieder zurückzulaufen. Diesmal lief er weiter, rannte am lange umgebauten Südbad entlang, drehte eine Runde um den kleinen, versteckt liegenden Aulbachweiher, lief weiter hinauf zwischen Seniorenheim und Südfriedhof zum Mattheiser Wald. Er war trotz des Anstiegs immer schneller geworden, als ob er den wechselnden Bildern, die ihn vor seinem inneren Auge verfolgten, so zu entkommen versuchte: Suzanne, Anne, Reno, Bonitzer, Altmüller, Marie, Dardenne, Hannah und immer wieder Zoé. Es schien ihm, als ob er keinen roten Faden fand: nicht in seinen Ermittlungen und nicht in seiner Gefühlswelt. Konnte er sich überhaupt Gefühle eingestehen, konnte er sich als Polizist überhaupt Gefühle leisten?
Wie besessen spurtete er durch ein kleines Wäldchen, bis er schließlich keuchend nach vorn gebeugt vor einem großen Schulkomplex stehen blieb. Er war bis zum Höhenstadtteil Mariahof hinaufgelaufen und spürte in seinen zitternden Knien die ungewohnt heftige Anstrengung. Als sein Atem wieder etwas ruhiger ging, schritt er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen langsam den Montessoriweg hinab bis zu einer nahen Wiese. Das Gras war tagsüber abgetrocknet,
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