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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Ness
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wollte sie? Wollte sie sich beweisen, dass sie einem Toten die Ehre erweisen konnte? Wollte sie sich beweisen, dass sie eine gute Journalistin war? Wollte sie nicht eigentlich nur ihr nettes, ausgeglichenes Leben führen? Sie wollte alles – und nichts von dem.
    Die Angst, die sie beim Anblick von diesem Shiwen ereilt hatte, war am Morgen nur noch eine Erinnerung gewesen. Schwach genug geworden, um letztendlich den Termin mit Thill für den nächsten Morgen zu machen. Den restlichen Samstag hatte sie fast vollständig verschlafen.
    Jetzt hockte sie auf ihrem Sessel und horchte in sich hinein: Duell, in ihr duellierten sich ihr Anspruch und ihre Angst. Egal, wer gewinnen würde, der Verlierer würde eine Narbe in ihr hinterlassen. Es sei denn, es würde gar nichts passieren. Die Hoffnung war für einen Augenblick zurückgekehrt. Jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr.
    * * *
    Fernand Thill war hellhörig geworden, als die Reporterin angerufen hatte. Nur von diesem Altmüller hatte er zuvor ähnliche Andeutungen gehört. Die Zusage zum Interview hatte er gegeben, weil er wissen wollte, was sie wusste. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Shiwen von diesem Treffen zu berichten, aber der Chinese schien das erste Mal seit Langem mit ihm zufrieden.
    Er nahm einen Schluck von seinem Cappuccino und horchte in sich hinein: Zuversicht, ja, er war weiter zuversichtlich, dass der Deal klappen würde. Es war ja letztendlich auch nichts passiert. Wenn die Chinesen endlich ihr Geld durch die Banken geschleust hätten, könnte er voll einsteigen. Dann hätte er es geschafft.
    * * *
    Sun Shiwen hatte schon am Samstag das meiste organisiert. Er hatte den Fehler gemacht, Altmüller zu unterschätzen. Hätte sofort handeln sollen, als der bei Thill aufgetaucht war. Alles andere war dann Zufall gewesen, aber der Fehler hatte am Anfang gestanden. Die Dynamik, die nun entstanden war, konnte er nicht mehr beeinflussen.
    Er ging das Flussufer entlang und horchte in sich hinein: Rückzug, das Projekt war gescheitert, er konnte nur noch die Spuren verwischen, damit er keine verbrannte Erde für seinen Auftraggeber hinterließ. Dann würde er dieses Land für immer verlassen. Vielleicht war jetzt die Zeit endlich reif für ein Leben zu Hause.
    * * *
    Markus Schilzenbach genoss diesen Sonntagmorgen. Er hatte in aller Früh seinem Sohn beim Bau eines mobilen Jagdansitzes geholfen und gespürt, wie ihm diese praktische Arbeit von Zeit zu Zeit guttat. Dann hatten sie gemeinsam ordentlich gefrühstückt, hatten sich Neuigkeiten erzählt, Termine für die nächsten Wochen ausgetauscht und sich gefreut, als seine Frau eine große Rehkeule zum Mittagessen angekündigt hatte.
    Er saß nun in seinem Büro, streckte seine langen Beine unter den Schreibtisch und horchte kurz in sich hinein: Zufriedenheit, es machte sich wieder diese tiefe Zufriedenheit in ihm breit, die ihm die Stärke für seine politische Arbeit gab. Von ihm aus konnten alle über ihn herziehen, er hatte sich geschüttelt und war weitergegangen. Keiner hatte ihn aufhalten können. Und so würde es auch bleiben.
    * * *
    Paul Feilen war fast schon überrascht, dass bis zum Vormittag kein Fremder in der Merteskaul gewesen war. Hatten sie jetzt endlich genug, hatten alles gesehen, was zu sehen war, sich geholt, was zu holen war? Er mochte es nicht glauben. Doch eigentlich hatte er selbst auch seinen Anteil an der Unruhe. Vielleicht wäre alles viel früher vorbei gewesen, wenn er etwas gesagt hätte. Vielleicht wäre die junge Familie sogar noch am Leben.
    Er stand am Rand des Weges mit Blick ins Bachtal und horchte in sich hinein: Fluch, der Fluch von Merteskaul war so eine schöne Ausrede für das todbringende Versagen der Menschen. Hatte er wieder entscheidende Fehler gemacht? Fehler, weil er seinen Kopf hatte. Fehler, weil er nicht aus seiner Haut konnte, die ihm so gegeben war.

42
    Trier; Sonntag, 19.   Juni
    Als Buhle aufwachte, musste er sich erst einmal vergegenwärtigen, dass er fast zehn Stunden geschlafen hatte. Dennoch war es noch früh am Morgen, und von draußen drang kaum ein Geräusch durch das gekippte Fenster in sein Schlafzimmer. Er schaute auf sein Handy und war erleichtert, dass er keinen Anruf und keine SMS überhört hatte. Beim Aufstehen spürte er die ungewohnte Anstrengung vom Vorabend mit einem deutlichen Muskelkater in seinen Beinen. Nachdem er sich im Bad frisch gemacht und gefrühstückt hatte, war es nach neun Uhr und, wie er meinte, durchaus nicht

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