Kein Tod wie der andere
aber die Erde war noch feucht von dem nächtlichen Regen. Buhle ließ sich dennoch lang ausgestreckt in die meterhohe Vegetation fallen und schloss seine Augen. Für einen unbestimmten Moment überkam ihn tatsächlich das Gefühl, sein Kopf sei leer, seine Gedanken hätten ihm nicht folgen können. Es war wie eine Erlösung, und er blieb auch weiter regungslos liegen, als sich sein vor Schweiß und Bodennässe klammes Trikot wie ein kalter Wickel um seinen nun ganz ruhigen Körper legte.
Erst ein nicht zu unterdrückendes Niesen ließ ihn wieder zu sich kommen. Er setzte sich mit angewinkelten Beinen aufrecht hin und schaute in das Moseltal hinab. Erst nach und nach drang in sein Bewusstsein, wie schön dieser Ausblick doch war. Ja, wirklich schön.
Langsam erhob er sich, schob seinen linken Arm unter das Trikot, damit es sich vom Körper löste, und trabte auf einem schmalen Pfad vorbei an der Waldorfschule hinunter in die Stadt. Diesmal nahm er den Weg östlich am Südbad vorbei, gesellte sich für eine halbe Runde zu den anderen Joggern entlang des Weihers und kam schließlich erschöpft, aber durchaus zufrieden in seiner Wohnung an.
Nach einer ausgiebigen Dusche kochte er sich etwas, sah sich die Nachrichten im Fernsehen an und spürte, wie die Müdigkeit ihn nun regelrecht übermannte. Er schaffte es dennoch, bei Marie anzurufen. Sie telefonierten über eine Viertelstunde, in der er auch über seine kurze Auszeit berichtete. Marie hörte geduldig zu, schob nur hier und da ein paar ermunternde Worte ein. Als sie das Gespräch beendet hatten, überlegte er, ob er es lieber persönlich in Avelsbach geführt hätte. Es erstaunte ihn, dass er zu dem Entschluss kam, dass es so genauso gut gewesen war.
Einen Anruf bei Hannah Sobothy verschob er auf den Sonntagmorgen. Erst dann wollte er wieder an den Fall denken. Es war draußen trotz der geschlossenen Wolkendecke noch nicht richtig dunkel geworden, als Christian Buhle in tiefen Schlaf fiel.
41
Großregion; Sonntag, 19. Juni
Mario Reno hätte sich sehr gewünscht, heute zu einem Fußballspiel des Racing FC gehen zu können, um ein wenig Ablenkung zu bekommen. Aber die hatten Sommerpause. Würde die Polizei auch am Sonntag wieder bei ihm erscheinen, ihn wieder dasselbe fragen? Den Beobachtungsposten an der Straße hatten sie jedenfalls noch nicht abgezogen. Wie würde Dardenne auf seinen Erpressungsversuch reagieren? Würde er ihn weiter nicht ernst nehmen? Ihm selbst kam er jetzt fast lächerlich vor. Aber er war ausgesprochen, und so viel Stolz hatte er nun auch, da nicht gleich wieder den Schwanz einzuziehen.
Er stand am Fenster und horchte in sich hinein: Flüchten, am liebsten würde er einfach nur noch raus aus dieser beschissenen Situation. Er verfluchte den Tag, an dem er Dardenne zum ersten Mal einen Gefallen getan hatte.
* * *
Eric Dardenne war früh aufgestanden. Er hatte jetzt absolut keinen Nerv auf eine kuschelnde Kristin mit ihren vor Glück überlaufenden Augen, und er hatte in Ruhe telefonieren wollen. Zum Glück war die Bonitzer auch schon wach gewesen, und zum Glück schien sie immer noch ganz heiß darauf zu sein, eine Botschaft ihres Exliebhabers zu erhalten. Er hatte sich als Journalist ausgegeben, der wegen eines Auslandaufenthaltes erst jetzt die schlimme Nachricht vom Tod seines Freundes Alexander erhalten hatte. So hoffte er zu erfahren, was Bonitzer wusste, was Altmüller ihr erzählt haben könnte.
Er saß an seinem Schreibtisch und horchte in sich hinein: Beherrschtheit, er musste sich nur beherrschen, durfte auch gegenüber der Polizei keinen Fehler machen, musste Reno irgendwie auf Linie halten und durfte nicht wieder in Panik verfallen. Dann würde alles gut werden.
* * *
Nanette Bonitzer war noch völlig durcheinander. Was konnte der Kollege von Alexander ihr berichten? Er hatte sich am Telefon total nett angehört und Andeutungen gemacht, dass Alexander ihm anvertraut hätte, warum er sie tatsächlich verlassen musste. Sie war skeptisch gewesen, doch dann hatte er etwas gesagt, dass er nur von Alex selbst wissen konnte.
Hatte Alex sie doch geliebt? Sie schritt fortwährend durch ihr Wohnzimmer und horchte in sich hinein: Liebe, sie hatte ihn wirklich geliebt, wie noch nie einen Mann vorher, und sie spürte, wie wichtig es ihr war, zu wissen, dass auch Alex sie geliebt und nicht nur benutzt hatte.
Bald würde sie es wissen.
* * *
Hannah Sobothy hatte die halbe Nacht auf Samstag wach gelegen und nachgedacht. Was
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