Kein Tod wie der andere
Blechdose im Geräteschuppen. Keiner sonst hätte die Daten über das Flughafenprojekt erhalten, auch nicht die Polizei. Offenbar hatte Shiwen bereits einen Gehilfen mit ihrem Haustürschlüssel zu ihrer Wohnung geschickt. Mit einem Anruf von ihrem Smartphone aus stellten sie sicher, dass Steff Brodersen noch nicht wieder zu Hause war. Es dauerte nur zehn Minuten, bis Shiwen einen Anruf bekam und Sobothy freundlich zunickte.
»Gut, wir werden Ihr Notebook mitnehmen müssen. Sie werden alle Ihre Daten zurückbekommen, allerdings werden wir Ihre Festplatte austauschen. Dafür finden sie anschließend einige Details über den Geschäftsmann Fernand Thill, die Sie sicher sehr interessieren werden.« Er schien kurz über etwas nachzudenken, das ihm einen Anflug von Heiterkeit bescherte. »Sie sind Radioreporterin. Da werden Sie sicherlich auch über ein Statement von Herrn Thill froh sein, nehme ich an. Ich bin sicher, dass wir das arrangieren können.«
Hannah Sobothy hatte lange nicht gesprochen. Die ganze Situation kam ihr völlig irreal vor. Doch jetzt fragte sie nach: »Was wird Herr Thill machen?«
Shiwen schien für seine Verhältnisse immer noch belustigt. »Ich nehme an, Herr Thill wird jetzt eine längere Geschäftsreise in den Fernen Osten unternehmen müssen. Ja, er ist schon auf dem Weg dorthin. Sie müssen mich nun aber entschuldigen. Ich habe noch einen wichtigen geschäftlichen Termin und werde mich dann auch gleich aus Europa verabschieden müssen. Die Unterhaltung mit Ihnen war mir ein großes Vergnügen. Jiao wird Ihnen noch ein wenig Gesellschaft leisten.«
Shiwen war aufgestanden und schickte sich an, sich förmlich zu verabschieden. Doch während er ihre Hand hielt, schien ihm noch etwas einzufallen. »Zwei Dinge noch: Es kann sein, dass wir Ihnen zum Abschied noch kleinere Unannehmlichkeiten bereiten müssen, aber es ist leider notwendig. Wir werden Sie in einem Waldstück aussetzen und … nein, Sie brauchen keine Angst zu haben, Ihnen wird nichts geschehen. Wir benötigen nur noch ein wenig Zeit und möchten nicht, dass man Sie hier findet. Sie werden erst ein wenig laufen müssen, doch Sie werden sicher Ihre Tasche mit Ihrem Mobiltelefon finden. Dann werden Sie Hilfe herbeirufen können. Und zweitens: Sie können der Polizei natürlich auch von den kleinen Ereignissen hier berichten. Allerdings wird man keinerlei Spuren finden, die das Geschehene bestätigen werden, außer natürlich die Spuren, die Sie selber am Körper tragen. Aber die könnten auch anders gedeutet werden. Sie dürfen auch ruhig von Sun Shiwen berichten«, fügte er lächelnd hinzu.
»Aber den wird man auch nicht finden. Genauso wenig wie eine Jiao.« Hannah stellte verwundert fest, dass ihre Anspannung bereits abgefallen schien, als ob schon alles vorbei wäre.
»Da haben Sie vollkommen recht. Wobei sie die liebenswerte und bezaubernde Jiao sicherlich mehr vermissen werden als mich. Sie hat magische Finger.«
Erst jetzt ließ Shiwen ihre Hand wieder los. Sie spürte den Händedruck des Chinesen noch lange, nachdem er den Raum verlassen hatte. Doch eigentlich spürte sie vielmehr – sie konnte es sich nicht anders erklären – seine Energie.
47
Bertrange; Sonntag, 19. Juni
Nach seinem Entschluss benötigte Eric Dardenne nur eine Viertelstunde, bis er in die Rue Michel Rodange einbog und das Auto in seiner Garage abstellte. Er ging durch den Seiteneingang, der direkt ins Wohnhaus führte, und stellte seine Schuhe in der Garderobe ab. Kristin hatte die Vorhänge vor den Fenstertüren zur Terrasse hin zugezogen. Doch wo steckte sie bloß wieder?
Wahrscheinlich war sie sauer, dass er zu spät nach Hause gekommen war. Ihr Auto stand in der Garage, und allein ging sie eigentlich nie spazieren. Er rief ihren Namen laut durch die offen gestaltete Wohnung, bekam aber keine Antwort. Ohne sich weitere Gedanken zu machen, ging er ins Bad und wusch sich gründlich. Dann holte er sich in der Küche ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und trank es fast in einem Zug aus. Wo steckte sie bloß? Hatte sie sich hingelegt, war ihr wieder schlecht geworden? Er stellte die Bierflasche auf den Küchentisch und ging zurück in den Flur.
Der Angriff kam viel zu plötzlich, als dass er irgendeine Chance gehabt hätte. Es schien, als ob ihn unzählige Arme und Hände zugleich ergriffen. Ehe er auch nur reagieren konnte, lag er gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen auf dem Bauch, wurde dann hochgehoben und auf die Füße
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