Kein Tod wie der andere
es jetzt einfach mehr sein, als sie verkraftet. Andererseits könnten wir die kleinen Erfolge zunichtemachen, wenn wir warten und es ihr erst in ein paar Tagen sagen. Ich weiß nicht, wie sie überhaupt darauf reagiert. Nur, …«, Marie schien zu überlegen, »nur, wir sollten es so rechtzeitig sagen, dass sie bei der Beerdigung ihrer Mutter dabei sein kann. Sie muss Abschied nehmen können, so hart es auch sein mag. Wisst ihr, wann das sein wird?«
»Nein, noch nicht. Ich denke, nicht diese Woche. Der Leichnam wird heute in Mainz noch einmal obduziert.« Buhle fiel in diesem Moment ein, dass sie überhaupt nicht wussten, wer dies alles in die Hand nehmen musste: die Beerdigung, die Kontakte mit Versicherungen, Banken, Arbeitgebern, Versorgern. Eigentlich sollten das die Eltern der Verstorbenen machen. Aber was, wenn sie sich verweigerten? Wer würde dann im Interesse von Zoé handeln? Es gab schließlich einen Besitz, ein Erbe. Er fragte Marie.
»Es gibt das Jugendamt, es gibt Notare. Ich weiß auch nicht so genau. Wahrscheinlich wird vom Jugendamt ein Vormund für Zoé bestellt, dessen erste Aufgabe es ist, diese Angelegenheiten zu regeln«, antwortete sie. »Da gibt es bestimmt auch jemanden bei euch, der das weiß.«
Buhle fiel auf Anhieb niemand ein. Sie kümmerten sich eigentlich nur um die Täter, manchmal noch um die Opfer, indem sie sie an entsprechende Institutionen wie den Weißen Ring weiterverteilten. Wer kümmerte sich um die Hinterbliebenen? Aus dieser Verantwortung stahlen sich in der Regel der Staat und letztendlich auch die Gesellschaft. Es mochte sein, dass es bei minderjährigen Kindern anders war.
Marie unterbrach seine Überlegungen. »Du hattest gefragt, ob ihr mir helfen könntet.«
Buhle wurde hellhörig. »Ja, klar. Hast du einen Vorschlag?«
Marie antwortete zögerlich. Ihre Stimme klang vorsichtig und abwägend: »Ihr wollt doch etwas von Zoé erfahren.« Buhle fasste dies mehr als eine Feststellung auf denn als eine Frage und schwieg. »Vielleicht wäre es möglich, dass jemand von euch eine Beziehung zu Zoé aufbaut. Das hätte auch für mich den Vorteil, dass ich mich zumindest für ein paar Stunden um andere Dinge kümmern könnte. Heute Nachmittag brauche ich unbedingt Zeit für Nora, vielleicht auch für Mattis.«
Meinte sie ihn damit? Ihn, den Polizisten, oder ihn, den Menschen? Er verwarf den Gedanken. Er hielt Marie für kompetent und sich selbst für nicht geeignet, das Vertrauen eines traumatisierten Kindes zu erwerben. Hatte sie ihr Anliegen so zurückhaltend vorgetragen, um ihn nicht zu verletzen? Schon allein dieser Gedanke erzeugte in Buhle ein Gefühl der Erleichterung nach den Irritationen der letzten Tage. Er antwortete möglichst freundlich: »Wir haben eine Polizeipsychologin. Die wird sich sicher für einige Zeit um Zoé kümmern können.«
»Mmh.« Maries Antwort war verhalten, aber eindeutig. Sie hielt von diesem Vorschlag nicht viel. »Ich glaube, dass zwei Psychos für Zoé jetzt zu viel wären. Ich dachte gerade an eine Person, die eben nicht fachlich auf das Kind zugeht, sondern eher freundschaftlich, und dabei vielleicht auch eure Belange wahrnehmen kann …« Schließlich zauderte Marie nicht weiter: »Ich dachte an Nicole. Zoé kennt sie schon, weiß aber nicht, in welcher Funktion sie bei uns war. Nicole wäre bestimmt in der Lage dazu.«
»Nicole?« Buhle hoffte, dass sich in diesem einen Wort weder seine Überraschung noch seine Enttäuschung widerspiegelten. »Ich weiß nicht. Du meinst, sie schafft das ohne eine Ausbildung?«
»Sonst hätte ich das nicht vorgeschlagen.«
Buhle schaute zu Paul Gerhardts, der die ganze Zeit diskret, aber erfolglos versucht hatte, dem Gespräch nicht zu folgen. Dann hielt er seine Hand auf den unteren Teil des Hörers und flüsterte Gerhardts zu: »Marie Steyn schlägt vor, dass Nicole zeitweise Zoé Altmüller betreut.«
Die Antwort kam postwendend. »Kann ich mir gut vorstellen. Vielleicht kann sie etwas von Zoé erfahren, wenn sie Zugang zum Kind bekommt.«
Buhle nickte langsam, dann sprach er wieder zu Marie: »Nicole befragt gerade die Ärzte, die Anne im Krankenhaus behandelt haben. Wenn sie zurück ist, werde ich mit ihr sprechen. Wie viel Zeit würdest du sie beanspruchen wollen?«
»Drei, vier Stunden am Tag braucht sie schon, um von Zoé als Bezugsperson überhaupt wahrgenommen zu werden. Sie soll sie ja nicht therapieren, sondern einfach nur da sein und sich ab und zu mit ihr
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