Kein Tod wie der andere
wieder aus einer der türlosen Öffnungen des alten Gemäuers schaute, sprach sie ihn an. »Herr Grehler?«
Grehler hatte sich schon wieder zurückziehen wollen, als er überrascht auf seinen Namen reagierte. »Ja?«
»Herr Grehler, Hannah Sobothy von der RPR -Redaktion Trier. Guten Tag. Sie haben als Leiter der Spurensicherung jetzt wohl keine Zeit?«
Sie sah, wie Grehler seine hellen, aber buschigen Augenbrauen noch ein Stück höher zog. Auch wenn er versuchte, skeptisch und mürrisch zu wirken, spürte sie doch, wie es ihm schmeichelte, dass jemand ihn und seine Stellung kannte. »Sie wissen, dass ich Ihnen sicher nichts über den Stand der laufenden Ermittlungen mitteilen werde.« Grehler kam einige Schritte auf sie zu.
»Natürlich nicht. Wir wollen ja alle, dass der Mörder gefasst wird, der der Familie das angetan hat. Aber mich interessiert eigentlich auch mehr die Arbeit, die Sie leisten müssen. Es ist doch für die Lösung eines Falles unglaublich wichtig, dass alle Spuren entdeckt und gesichert werden. Ohne diese Arbeit kann ein Täter vor dem Gericht gar nicht verurteilt werden, oder liege ich da falsch?«
»Nein, das ist genau so richtig.« Grehler hatte seine Vorsicht noch nicht abgelegt.
»Sehen Sie. Doch darüber wird meistens nicht berichtet. Vielleicht in diesen CSI -Serien im Fernsehen, aber die sind häufig viel zu reißerisch.«
»Oh doch, es wird darüber berichtet. Nämlich dann, wenn wir mal etwas übersehen haben sollten. Dann werden die Kriminaltechniker gern als die Sündenböcke hingestellt. Als ob nur wir Fehler machen würden.«
»Eben. Deshalb wäre es mir lieb, wenn Sie vielleicht etwas über die Schwierigkeiten der Spurensuche gerade in diesem Fall sagen könnten.«
Grehlers Gesichtsausdruck wurde wieder kritischer. »Ich soll Ihnen etwas sagen, das Sie dann senden, oder was?«
»Das wäre natürlich super. Aber ich weiß nicht, ob Sie das dürfen.«
»Für die Öffentlichkeitsarbeit ist die Pressestelle zuständig. Da läuft alles rüber, was an die Medien herausgegeben wird.«
»Und wenn ich Ihnen verspreche, den Beitrag vorab von Ihrer Pressestelle autorisieren zu lassen?«
»Und was, wenn Sie das Versprechen nicht einhalten? Wir hatten in letzter Zeit nicht die besten Erfahrungen mit Ihren Kollegen.«
Hannah Sobothy versuchte, ihr traurigstes, verständnisvollstes Gesicht aufzusetzen, als sie die Schulter nach oben hob und wieder fallen ließ. »Könnten Sie mir denn ohne Mikro sagen, was hier in Merteskaul die besonderen Herausforderungen für die Spurensicherer sind?« Sie ahnte, das Grehler ihr die Bitte wieder ausschlagen wollte, und schob schnell nach: »Sie brauchen ja keine geheimen Erkenntnisse preiszugeben.«
Grehler seufzte einmal kurz. »Also gut. Die besondere Schwierigkeit ist sicherlich, dass wir es hier mit sehr komplexen Tatorten zu tun haben. Sie können sich vorstellen, dass es in einem solchen Anwesen wie hier Tausende von Spuren gibt, die vielleicht von Bedeutung sein könnten. Wir können nicht bei jedem Gegenstand die Fingerabdrücke abnehmen oder Textilfasern untersuchen. Also müssen wir vorher entscheiden, welche Spuren mit dem Fall im Zusammenhang stehen könnten und welche nicht.«
»Und welche sind hier von Relevanz?«
Grehler schaute ihr nur kopfschüttelnd in die Augen, mit einem Blick, der sagte: »Mädchen, doch nicht mit mir.« Sie entschuldigte sich deshalb sofort bei dem Polizisten. Sie wusste inzwischen, dass sie bei ihm nicht ans Ziel kommen würde.
Ihren Originalton bekam sie anschließend dennoch. Die Tochter von diesem griesgrämigen Nachbarn war sehr gesprächig und völlig aufgelöst darüber, dass so etwas in ihrer idyllischen Merteskaul passieren konnte. Sie war ganz angetan, als Sobothy sie bat, das auch noch in das Mikrofon zu sagen. Den Hang der Menschen, ihre Meinung über die Medien der Öffentlichkeit zu offenbaren, konnte Hannah Sobothy nur mit dem allgegenwärtigen inneren Drang nach Aufmerksamkeit und Anerkennung erklären, der wohl in den meisten schlummerte. Richtig verstehen konnte sie es nicht – obwohl sie davon lebte.
Merteskaul war nur ihre Aufwärmstation gewesen. Auch wenn sie beim erfahrenen Kriminaltechniker gescheitert war, hatte sie doch das Gefühl, ihre eigentliche Aufgabe für diesen Tag erfolgreich meistern zu können. Diese Zuversicht wuchs mit jedem Kilometer, den sie in nördlicher Richtung zurücklegte, und mit jedem Gedanken, der auf das vereinbarte Treffen gerichtet war.
24
Merzig;
Weitere Kostenlose Bücher