Kein Wort mehr ueber Liebe
können. Aber das hätte ich nur getan, um mich weniger schuldig zu fühlen.
Sie verstummt einen Augenblick, trinkt einen Schluck Kaffee.
– Vor allem aber hätte ein Geständnis darauf abgezielt, den Wunsch, ja sogar die Lust darauf, hierherzukommen, abzuwehren. Und das wollte ich in der Tat nicht.
Die Schweißperle schiebt sich weiter über ihre Nase. Louise ist ein wenig außer Atem.
– Ich bin vollkommen verrückt, so mit dir zu sprechen. Du wirst in der Tat von mir denken, dass ich …
– Nein, ich denke gar nichts.
– Ich habe es in der Tat nie gewagt, mich so aufzuführen. Das muss der Psycho-Effekt sein.
Sie schaut ihn an, ihre Augen glitzern, aber es liegt nichts Schelmisches in ihrem Blick. Thomas hat sich tatsächlich ein paar Notizen gemacht.
– Also? Was sagen Sie dazu, Herr Doktor?
– Frau Blum, der Psychoanalytiker stellt fest, dass Sie sehr häufig den Ausdruck »in der Tat« benutzen. Er vermutet dahinter eine Form der Verleugnung. Da es ja gerade nicht um eine »Tat« geht, handelt es sich hier um das unbewusste Eingeständnis eines Phantasmas.
Louise zieht eine hübsche Grimasse. Er fügt umgehend hinzu:
– Aber der Analytiker beschränkt sich darauf, Redefragmente festzuhalten, aus denen sich eventuell – oder auch nicht – Schlüsse ziehen lassen. Was den Mann angeht, so …
– Ja? Was sagt der Mann …?
– Seit ich mich an dem Abend von dir verabschiedet habe, habe ich davon geträumt, dich wiederzusehen. Ich hätte mir andere Manöver ausgedacht, wenn du heute nicht frei gewesen wärest, und wenn du dieses Rendezvous abgelehnt hättest, hätte ich einen Vorwand gefunden. Jetzt weißt du alles. Und wenn ich dir wirklich alles sagen soll …
– Ja?
– Ich habe schon seit langem niemanden mehr, den ich morgens anlügen könnte. Und außerdem bin ich auch kein Lügner.
– Ich möchte nicht, dass … Ich habe mich noch nie auf ein Rendezvous eingelassen, ich gehöre nicht zu denen, die …
– Du hast dich nicht zu rechtfertigen.
Louise steht auf, zieht ihren Mantel an, schlägt den Kragen hoch.
– Ich habe überhaupt keinen Hunger, Thomas. Es ist halb eins, um 15 Uhr 30 habe ich eine Verhandlung im Justizpalast. Und es ist so schönes Wetter.
– Hast du Lust, dir die Tierhandlungen anzuschauen? Wusstest du, dass bei den Meerechsen das Skelett schrumpft, wenn sie keine Nahrung finden?
– Was für die Meerechsen das Skelett, ist also für den Menschen das Hirn?
– Wenn du meinst.
Thomas ist höchst erfreut über seine wiedergefundene Arglosigkeit, darüber, dass er kein Kalkül mehr anstellt. Die Meerechse der Galapagosinseln kann ihn aufs Neue interessieren. Sie gehen hinaus, tun ein paar Schritte, er greift nach ihrer Hand, sie lässt ihn gewähren. Unter dem ersten Portal – wer hat wen dorthin gezogen? – küssen sie sich. Er entdeckt auf ihren Lippen den vertrauten Geschmack von Brombeeren und Süßholz; sie erkennt sein Parfüm wieder: Romain hatte, früher, dasselbe.
Der Kuss dauert lange, sie geben sich einander hin, ganz ohne Hast, Thomas drückt sie an sich. Louise löst sich, sie flüstert ihm etwas ins Ohr. Thomas lächelt, schüttelt den Kopf. Ein Taxi kommt vorbei, Thomas hält es an. Die Meerechsen in den Schaufenstern können warten.
ANNA UND YVES
Yves. Yves. Anna Stein mag den Vornamen so oft wiederholen, wie sie will, sie kann ihm nichts Bezauberndes abgewinnen. Sie hätte einen anderen, weniger altmodischen, weniger großväterlichen Namen bevorzugt. Lucas, Serge, David. Einen weniger »französischen«, einen internationaleren, kosmopolitischeren Namen, einen Namen, der nicht nach Erde, Bauer, Torf riecht. Sie schüttelt den Kopf, seufzt auf: Ich kann mich nicht mit der Vorstellung abfinden, dass er Yves heißt, dass ich in einen Yves verliebt bin.
Mithin: Yves. Sie hat ihn schon drei Mal angerufen, jedes Mal aus Gründen, die sich allzu deutlich als Vorwände zu erkennen gaben. Es berauscht sie, die Worte »Hallo? Yves?« auszusprechen, das ist schon wie eine kleine Eskapade, sie spürt, wie der Hauch des Vornamens aus ihr herausströmt. Sie liebt seine Stimme am Telefon, seine Art, die Worte stets einen Moment zurückzuhalten, den Rhythmus zu verlangsamen; seine Konzentriertheit, sein Zögern, seine Manier, wie er nach den Wörtern zu suchen scheint, verwirrt sie. Sie liebt seinen Tonfall, sein Timbre, seine fast druckreif gewendeten Sätze. Sie verspürt darin etwas Intensives, und diese Intensität durchdringt sie, sie liest darin
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