Kein Wort mehr ueber Liebe
zärtlicher Gesellschaft verbringt. Eine »farbenfrohe Freundschaft«, so haben sie ihre intime Beziehung getauft. Das klingt besser als eine farblose Liebe. Thomas hebt ab.
YVES UND ARIANE
Yves Janvier ist noch schlank, in seinen Gesten lebt der große sportliche Jugendliche weiter, der er einmal war. Er rennt, um den Quai des Grands Augustins zu überqueren, und mit seinen fünfzig Jahren könnte er noch als junger Mann durchgehen, aber er gerät in Wut, da ihm die Luft ausgeht. Seit langem schon sind seine Schläfen ergraut, aber ein seit der Kindheit widerspenstiger Wirbel in seinen kurz geschnittenen Haaren verleiht ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Monsieur Hulot.
Yves durchquert Paris, um sich von Ariane zu trennen. Es ist ihm klar, dass er sie schon vor einiger Zeit verlassen hat, aber sie weiß es noch nicht, da sich nach außen hin nichts zwischen ihnen geändert hat. Sie essen gemeinsam zu Mittag, zu Abend, schlafen zusammen, lieben sich nicht seltener, da sie es inzwischen nur noch kurz machen, und sie halten sich noch immer bei der Hand, mit einer Zärtlichkeit, die nicht gespielt ist.
Janvier hat Ariane vor drei Jahren auf einer Buchmesse in Nantes kennengelernt, wo er wenig zu signieren hatte und sich schrecklich langweilte, ohne sich indes leichtfertig der Trunkenheit und dem Schaumwein zu ergeben. Eine hübscheund junge Brünette mit dunklem Teint hatte ihm einen zehn Jahre alten Roman hingehalten, dazu die Aufforderung: »Für Ariane«. Umgehend schrieb er, ein wenig provokant, auf die Seite 3: »Für Aria(d)ne, die weiß, dass das Leben an einem seidenen Faden hängen kann.« Das war ausgesprochen blöde, irgendwie sogar im Stil eines alten Schürzenjägers, aber sie hatte ihm ein freundliches Lächeln geschenkt und war verschwunden. In dem Zug, der ihn wieder nach Paris zurückbrachte, stand sie im Bordbistro und trank einen Kaffee. Als sie ihn erblickte, lächelte sie ihm zu, machte mit der Hand die Geste des Telefonierens, murmelte »Hallo?« und tat so, als würde sie in den Hörer sprechen. Er entschuldigte sich für sein Wortspiel mit dem Faden, dem »coup de fil«, der auch ein Telefonanruf sein kann, und schob alles auf die vielen Gläser Schaumwein. Sie hatten dann am selben Abend noch zusammen gegessen, und sie hatte beschlossen, die Nacht bei ihm zu verbringen. Sie waren beide disponibel.
Das Grau seiner Augen hatte ihr gefallen, und auch seine Miene, die stets den falschen Eindruck erweckte, dass er sich langweilte, sein ausweichendes Lächeln in Gesellschaft, das er nur mit ihr zu teilen schien. Sie war strahlend, voller Anmut, und diese Verbindung von Fragilität und Selbstsicherheit, die die Jugend ausmacht, hatte Yves Janvier verführt. Denn ja, sie war jung und wirkte oft noch jünger, als sie war. Dem taktlosen Kellner, der eines Tages gesagt hatte: »Und was darf es für Ihr Fräulein Tochter sein?«, hatte Ariane geantwortet: »Monsieur, wir sind seit zehn Jahren verheiratet.« Ein andermal, als sie sich besonders geärgert hatte, war sie gar bis zu »seit zwanzig Jahren« gegangen. Yves war in schallendes Gelächter ausgebrochen, sie auch.
Ziemlich rasch und ohne großes Aufhebens davon zu machen, hatte sich Ariane bei Janvier einquartiert. Sie hatte nur wenig Möbel, wenig Kleider. Er hatte ihr nahegelegt, die Zweizimmerwohnung, die sie besaß, zu vermieten, sie hatte ihm vorgeschlagen, die Miete zu teilen, sie hatten gemeinsame Kasse gemacht. Janvier hatte befürchtet, dass es mit seiner dreizehnjährigen Tochter Julie zu Spannungen kommen könnte, aber Ariane hatte aus ihr nicht nur eine Freundin, sondern, besser noch, eine Verbündete gemacht. »Ich flehe dich an, die darfst du auf keinen Fall verlieren!«, wiederholte eine begeisterte Julie immer wieder gegenüber ihrem Vater. Ariane hatte ihre nachtschwärmerischen Gewohnheiten aus Studentenjahren beibehalten, gegen die Janvier nichts unternehmen wollte. Die Freunde, mit denen sie abends ausging, waren genauso jung wie sie. Yves war nicht eifersüchtig darauf, dass sie jung waren: So war er auch in Arianes Gegenwart nicht dazu gezwungen, so zu tun, als sei er es. Yves arbeitete bis in den späten Abend hinein, und noch später, mitten in der Nacht, sahen sie sich wieder. Das Leben war süß, heiter, einfach, man beneidete sie.
Yves wird mit Ariane brechen. Er denkt darüber nach, dass es, wäre er nicht Anna Stein begegnet, noch lange so hätte weitergehen können. Es sei denn, er ist Anna Stein begegnet, weil es
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