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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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nach Argumenten.
    – Vielleicht. Aber es scheint mir doch, dass Pascal das Wort »Qualität« ganz allgemein im Sinne eines Charakterzugs verstand …
    – Ich fürchte, dass sein Verständnis des Wortes prosaischer ist. Ich gebe zu, ich verabscheue Pascal. Das ist ein Philosoph dritten Ranges, engstirnig, gefangen im Aberglauben. Ehrlich, die Pascal’sche Wette, dümmer geht’s nimmer.
    – Was die Wette angeht, einverstanden, sagt Yves lächelnd.
    Annas amüsierte Stimme unterbricht ihn:
    – Ich beeile mich, Yves, sonst wird mein Vater dich in Beschlag nehmen, und wir kommen wirklich zu spät. Und du, Papa, hör auf, Yves zu ärgern. Yves, wenn mein Vater dir auf die Nerven geht …
    – Aber ganz und gar nicht. Dein Vater geht mir überhaupt nicht …
    – Arbeiten Sie gerade an einem Roman, Monsieur Janvier?
    – Yves. Monsieur Stein, bitte nennen Sie mich Yves … Ja, ich habe etwas angefangen, über Paare … Nun ja, wenn man das so sagt, hört sich das eher banal an …
    – Nein. Haben Sie schon einen Titel?
    – Ich würde es gerne
Die Theorie des Ensemble
nennen, »ensemble« im Sinne von »zusammen«, »zusammen sein«, also nicht
der Ensembles
, im Plural. Oder aber
Das abchasische Domino
, ich weiß es noch nicht.
    – Abchasisch?
    – Wie Abchasien. Das ist ein kleines Land am Nordufer des Schwarzen Meeres.
    – Beide Titel sind schön. Aber vielleicht ein bisschen zu intellektuell, oder? Meine Tochter hat Recht, ich ärgere Sie.
    – Ähm … Ja, ich würde gerne, also …
    – So, ich bin fertig.
    In ein rotes Satinkleid mit orientalischen Motiven gehüllt, stürmt Anna aus dem Zimmer. Yves findet sie strahlend schön.
    Sie ist barfuß, in jeder Hand hält sie ein Paar Sandalen.
    – Mama, was meinst du, eher diese kretischen oder die eher römischen Sandalen?
    Yves sieht keinen Unterschied. Die Mutter wohl. Sie entscheidet zugunsten der kretischen.
    – Wir sind dann weg, Mama. Maureen hat mich gerade angerufen. Sie findet keinen Parkplatz, sie wartet unten auf uns. Auf Wiedersehen, Papa. Gebt ihr mir einen Kuss, Kinder?
    Léa und Karl kommen aus ihrem Zimmer gelaufen, umarmen sie, als wollten sie sie erdrücken. Léa mimt das ausgesetzte Kind, schnieft und lacht dabei. Auf dem Treppenabsatz befreit Anna sich zärtlich von ihnen. Sie steigt in den Aufzug, Yves folgt ihr. Ein letzter Blick auf den kleinen roten Ferrari. Die Tür schließt sich.
    Zehn Zentimeter trennen Yves von Anna. Sie trägt ein frisches Parfüm, das nach Holz und Efeu riecht, sie sagt nichts, lächelt, senkt den Blick. Um gegen die Versuchung anzukämpfen, sie in den Arm zu nehmen, konzentriert Yves sich auf das Dekor: Aufzug der Marke ART, getönter Spiegel, an den Wänden schwarze, kurzfaserige Auslegeware. Eine Kupferplatte:
»Max. 3 Pers. 240 kg. NF«
. Eine Anzeigetafel mitsechs schwarzen Knöpfen,
EG, 1, 2, 3, 4, 5
, ein roter Knopf
»STOP«,
ein grüner Knopf
»NOTRUF 24 Std.«
. Ein kleines Gitter, Lautsprecher und Mikrofon.
»Im Notfall folgende Betr.-Nr. angeben: TL1034«
.
    Aber es gibt keinen Notfall, und die Abfahrt dauert fünfzehn Sekunden. Yves hat es geschafft, nichts zu versuchen. Den ganzen Abend über ergibt sich allerdings nicht die kleinste Gelegenheit, Anna zu küssen. Sie und ihre Cousine gehen früh heim.
    Am nächsten Morgen, wenn Stan von seinem Bereitschaftsdienst nach Hause kommen wird, wird Anna ihm in aller Länge, länger als üblich, von dem Abend bei Christiane erzählen, von Jean, Maureens neuem Freund, »charmant, vielleicht ein wenig blasiert«, von Christianes Krankheit, »stabilisiert«, von der Anwesenheit eines bekannten, sehr talentierten Filmregisseurs, »aber ja doch, Stan, denk mal nach,
Trente ans sans voir la mer
, der ist von ihm, den haben wir zusammen gesehen«.
    – Dreißig Jahre, ohne das Meer zu sehen
, sagt Stan. Ja.
    Von Yves sagt Anna nichts.

ROMAIN UND LOUISE
    Paris, den 3. Oktober. Mitternacht.

    Es ist schon spät, Romain, Du arbeitest noch im Labor, und ich warte auf Dich, während ich diesen Brief in den Computer tippe. Das ist in der Tat meine Art, nicht auf Dich zu warten. Es ist schon Nacht, ich habe die unsere Kinder ins Bett gebracht, sie schlafen. Ich habe Dir schon so lange nicht geschrieben Ich hätte mich lieber nicht gezwungen gesehen, Dir diesen Brief zu schreiben. Ich schreibe ihn vielleicht nur, um ihn geschrieben zu haben, und ich zögere ich weiß noch nicht, ob ich ihn Dir geben werde. Was soll man noch erklären, wenn man einen Mann verlässt?
    Ich

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