Kein Wort mehr ueber Liebe
im Collège de France gemacht. Es vermittelt den Eindruck, als ob sie die besten Freunde der Welt wären, Lacan scheint über einen Witz des Psychologiestudenten zu lachen. Thomas hat es aufbewahrt. Den neugierigen Fragern antwortet er einfach: »Das bin ich mit Jacques und Roland.«
Von seinem Schreibtisch aus hat Thomas gehört, wie die Tür des großen Portals sich öffnet, wie Louise mit ihren eisenbeschlagenen Absätzen über den gepflasterten Hof ins Treppenhaus geht, und er hat seine Tür geöffnet, damit sie nicht klopfen muss. Nur ungern zeigt er ihr, wie ungeduldig er jedes Mal ist, sie zu sehen, aber noch weniger mag er Geduld vorschützen.
Sie sieht ihn auf dem Treppenabsatz stehen und lacht.
– Und wenn ich es nun nicht gewesen wäre?
– Ich kenne niemanden, der so geht wie du.
– Mit einem Koffer in der Hand werde ich anders gehen.
– Das heißt?
– Bald, sobald ich den Mut dazu finde, werde ich mit Romain sprechen. Ich werde ihm sagen, dass ich möchte, dass wir uns trennen. Ich werde ihm auch von dir erzählen. Etwas in mir ist zerbrochen und nicht mehr zu kitten. Nicht erst, seit wir uns getroffen haben. Willst du mich immer noch? Eine Verrückte mit zwei Kindern?
– Ja.
– Dass ich verrückt bin, weißt du aber, oder?
Thomas sieht Louise an und lächelt.
– Ich möchte gern eine Verrückte haben. Ich habe immer davon geträumt, mir Arbeit mit nach Hause zu nehmen.
ANNA UND YVES
Seit dem Abend bei Christiane hat Anna Yves nicht wiedergesehen. Er hat ihr ein neues Theaterstück geschickt, sie haben sich in einem Bistro in der Rue de Belleville verabredet.
Als Anna ankommt, wirft sie einen suchenden Blick nach ihm, findet ihn und ist erstaunt, ihn nicht gleich erkannt zu haben. Sie hatte ihn sich größer vorgestellt, was eine dumme Idee ist, denn er sitzt ja, sie hatte einen jüngeren Mann in Erinnerung und nicht bemerkt, wie weit die Haare sich aus seiner Stirn zurückgezogen hatten. Er liest in einem Magazin, hat einen Kaffee vor sich, sieht sie plötzlich, lächelt ihr zu. Die Unruhe, die sie bislang jedes Mal verspürt hatte, stellt sich nicht ein. So sehr sie die Erregung fürchtete, so sehr erhoffte sie sie auch. Ihre Abwesenheit hat nun eine zugleich frustrierende und beruhigende Wirkung auf sie.
Sie setzt sich. Sofort kritisiert sie die Dialoge, den Aufbau des Stückes, gibt zu, dass sie Romane vorzieht. Er schlägt ihr umgehend vor, ihr seinen ersten Roman zu schenken: Er wohnt gleich in der Nähe, der Kaffee ist viel besser bei ihm zu Hause, sie nimmt an. Als sie an seiner Seite geht, ergreift die Erregung erneut Besitz von ihr, so lebhaft, dass sie sich ihr ganz überschwänglich überlässt.
Sie durchqueren eine begrünte, renovierte Wohnanlage, steigen eine Treppe hoch, und er öffnet die Tür zu einer großen Wohnung mit hohen Räumen, sie wirkt maskulin und gemütlich. Das große, sonnendurchflutete Wohnzimmer ist mit einer Vielzahl von Objekten zugestellt, Filmprojektoren, ein Muskelmann mit Klappzylinder, eine Skulptur aus Treibholz. Anna tritt an die große Fensterfront, schaut auf Paris, sieht die Lichter, die nach und nach angehen, Sacré-Cœur, das Beaubourg im Süden und, weiter entfernt, die Spitze des Eiffelturms. Yves stöbert in einem Karton, holt ein Buch heraus und hält es Anna hin.
– Ich hab’s gefunden. Da ist es. Entschuldige die Unordnung, Anna. Ich bin gerade erst eingezogen.
– Das ist ja riesig.
– Ja. Viel zu groß für meine Tochter und mich.
– Bist du Mieter?
– Nein, ich habe zu viele verschiedene Arbeitgeber, das verunsichert die Hausbesitzer. Ich musste immer kaufen. Ich lebe in meinem Kapital.
Dann ist es also möglich, denkt Anna zerschmettert. Sie hatte sich ein dreckiges, heruntergekommenes Haus vorgestellt, eine vollgestopfte Zweizimmerwohnung, einen bescheidenen Haushalt, sogar eine gewisse Bedürftigkeit. Sie hatte sich gewünscht, dass er arm sei, dass seine Armut ihn zu einem undenkbaren Mann mache, sie hätte gerne einen Vorwand gehabt, um ihm in vorwurfsvollem Ton sagen zu können: »Aber welches Leben könntest du meinen Kindern bieten?«
– Ich hatte dir einen Kaffee versprochen. Hier entlang, bitte.
Die offene Küche entlockt Anna ein Lächeln: Stan und sie haben dasselbe Modell, von derselben schwedischen Firma.
Sie geht vor. Er riecht ihr Parfüm. Sie geht sehr langsam. Später wird Yves die Entdeckung machen, dass Anna, wenn sie unter Hochspannung steht, ihre Schritte verlangsamt, so als ob der
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