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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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gibt sich unbeschwert:
    – Arztgeheimnis, mein Liebling … Wie ich vorausgesehen habe, handelt es sich um einen Gefäßschaden. Er hat das zentrale Gesichtsfeld auf dem linken Auge verloren.
    – Endgültig?
    – Ja. Ich kann nichts tun. Aber es wird schon gehen. Simon ist sehr tapfer. Ich habe ihm gesagt, er solle zu Herzog gehen, aber du kennst ja deinen Bruder, er will nicht. Allerdings hätte Herzog auch nicht mehr gesagt oder getan.
    Anna antwortet nicht. Stans Tonfall bleibt so heiter er kann, er will ihre Traurigkeit verscheuchen:
    – Gehst du heute Abend immer noch aus, Liebling? Gehst du zu Christiane?
    – Ja. Meine Eltern sind da. Sie passen bei uns auf die Kinder auf.
    – Gehst du alleine aus?
    – Mit Maureen. Und mit einem Freund.
    – Und wer ist das?
    – Yves.
    – Beaudouin? Du gehst mit deinem Vorgesetzten zu Christiane?
    – Nein. Yves Janvier. Ein Bekannter von Maureen. Du kennst ihn nicht. Ich küsse dich.
    – Bis morgen früh.
    Anna legt auf.
    Sie hatte Yves zwei Tage zuvor angerufen, um ihm vorzuschlagen, sie auf diese Feier zu begleiten. Maureen hatte ihr als Vorwand gedient, denn wirklich gelogen hat sie nicht, ihre Cousine kennt den Schriftsteller, wenn auch nicht wirklich, sie hat ihn vor ein paar Jahren einmal interviewt.
    Als Yves abgehoben hatte, hatte sie gleich alle Gepflogenheiten vergessen, und aus ihrem ersten Satz war das Unbewusste hervorgebrochen: »Yves? Am Freitag hat mein Mann Bereitschaft …« Später hat Anna in die Unterhaltung nocheingeflochten: »Maureen ist zurzeit Single.« Sie wünschte schmerzlichst, dass Maureen und er einander gefielen, damit Yves, als Geliebter ihrer Cousine, für sie kein möglicher Mann mehr sei. Das hat Yves nicht begriffen. Er verdächtigte sie, die Kupplerin spielen zu wollen.
    Anna hört draußen das dumpfe Zuschlagen der Fahrstuhltür. Sie hofft, dass es Yves ist.

YVES UND ANNA
    Seit ihrer ersten Begegnung hat Yves Anna nicht wiedergesehen. Der Aufzug hält in ihrem Stockwerk. Es gibt nur eine Tür, und auf dem Treppenabsatz stehen Kinderfahrräder, Roller, ein kleiner roter Ferrari mit Pedalen. Jede Menge Vorwarnungen: Annas Welt ist so überfüllt wie ihr Treppenabsatz.
    Er klingelt. Ein kleiner Junge öffnet – Karl, erinnert sich Yves – und mustert ihn.
    – Mama, da ist ein Mann.
    Schon ist das Kind weg. Hast du Guten Tag gesagt, Karl?, tönt Annas Stimme.
    Yves macht einen Schritt vorwärts in die Diele. Anna bleibt unsichtbar. Ihre Stimme dringt zu ihm aus dem Flur, aus ihrem Zimmer, vermutet Yves.
    – Tut mir leid, ich bin noch nicht angezogen. Meine Eltern leisten dir so lange Gesellschaft.
    Yves macht noch einen Schritt nach vorne. Die Wohnung ist ansprechend, mit von überall her zusammengetragenen Möbeln eingerichtet, wobei sich eine deutliche Präferenz für die sechziger Jahre ausmachen lässt. In einem Sessel sitzt eine Dame mit Schmuck von sephardischer Schönheit undstreicht die blonden Locken eines kleinen Mädchens für die Nacht glatt. In ihrem Lächeln erkennt Yves Annas Lächeln wieder.
    – Guten Tag … Ich bin Annas Mutter. Béatrice. Sie kennen sie ja, immer zu spät. Nun, Léa, sagst du nicht Guten Tag?
    Die schmollende Léa hebt gar nicht erst den Blick. Die Großmutter insistiert nicht.
    – Laurent, mein Mann.
    Yves hatte den Mann mit dem langen weißen Haar und den majestätischen Zügen, der, vor dem Bücherregal stehend, in einem Buch blätterte, gar nicht bemerkt.
    Yves drückt die ausgestreckte Hand:
    – Yves Janvier.
    – Ich weiß, sagt Laurent Stein und klappt das Buch zu.
    Yves erkennt
Das zweiblättrige Kleeblatt.
    – Das wird heute meine Abendlektüre sein, fährt Annas Vater fort. Es fängt sehr gut an.
    – Danke. Aber das Ende ist schlecht. Glücklicherweise ist es sehr kurz.
    – Es endet schlecht, es ist kurz … Das ist eine Definition des Lebens.
    Yves schmunzelt. Annas Vater beobachtet ihn, schlägt das Buch wieder auf.
    – Darf ich eine Kritik anbringen? Oder, sagen wir, eine einfache Bemerkung?
    – Aber ich bitte Sie darum.
    – Es geht um das Pascal-Zitat, das Sie als Motto ausgesucht haben: »Man liebt nie eine Person, nur ihre Qualitäten.«
    – Ja?
    – Entschuldigen Sie, aber ich frage mich, ob es nicht umgekehrtist: ob uns beim anderen nicht eher das anzieht, was ihn zerbrechlich macht, das Loch in seinem Schutzpanzer. Die Liebe entsteht aus den Unzulänglichkeiten, die wir bemerken, der Lücke, in die wir eindringen, finden Sie nicht?
    Ein wenig ratlos sucht Yves

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