Kein Wort mehr ueber Liebe
dass jedes Gefühl in einem selbst entsteht und wurzelt, dann ist diese Reise, so verspätet sie auch stattfindet, nicht umsonst. Thomas fährt auf seine Befriedung zu.
Louise hat alle Termine abgesagt. Sie wollte mit ihm kommen.
– Danke, dass du da bist, Louise.
Sanft, ohne ein Wort, lehnt sie ihren Kopf an seine Schulter, er riecht ihr Parfüm. Sie schließt die Augen, umfängt ihn mit den Armen. Sie hat ein schlichtes, schwarzes Kostüm angezogen, sie schaut auf die Karte, spielt die Kopilotin.
– An der Ausfahrt 30 müssen wir abfahren, murmelt die junge Frau. Dann den ersten Abzweig nach La Roche-sur-Yon/Noirmoutier nehmen.
– Nach einem Kilometer links abfahren, sagt das GPS, das sich seit fast fünf Minuten nicht mehr gemeldet hat.
– Sag ich ja, seufzt Louise. Kannst du es nicht auf Italienisch oder Spanisch einstellen, dann trainiert man wenigstens die Fremdsprache.
– Doch, das geht. Du kannst auch auf »Männerstimme« einstellen, wenn du willst.
– Nach fünf Metern links abfahren auf die D347.
– Man müsste ein GPS fürs Leben erfinden, lächelt Louise.
Plötzlich imitiert sie die seelenlose, etwas nasale Stimme der Maschine:
– Nehmen Sie sich in einer Woche einen Liebhaber. Nehmen Sie sich morgen einen Liebhaber. Nehmen Sie jetzt, links, Thomas Le Gall. Verlassen Sie in einem Monat Ihren Ehemann. Verlassen Sie in einer Woche Ihren Ehemann.
– Verlassen Sie Ihren Ehemann jetzt, witzelt Thomas.
– Biegen Sie jetzt links ab, sagt das GPS.
– Ha, siehst du?, sagt Louise.
Sie legt die Karte weg.
– Wann hast du deinen Vater zum letzten Mal gesehen?
– Vor acht Monaten, an seinem achtzigsten Geburtstag. Ich hatte ihn, was weiß ich, seit fünfzehn Jahren nicht gesehen. Aber ich wollte, dass meine Töchter ihren Großvater, den »echten«, wenigstens einmal treffen. Dass er kein Familiengeheimnis bleibt, eine Spukverwandtschaft. Sie wollten nicht, ich musste insistieren, erklären, durfte nicht lockerlassen. Um sie zu überzeugen, habe ich schließlich gesagt, dass sie, wenn er morgen stürbe, es ihr ganzes Leben lang bereuen würden, ihn nicht gesehen zu haben.
– Nach einem Kilometer im Kreisverkehr die zweite rechts abbiegen.
– Halt die Klappe! Die Mädchen waren dann einverstanden. Das Fest fand in einem Restaurant statt, das auf große Bankette spezialisiert ist, an der Porte Maillot, die Art von Ort, die ich zum Glück nie betrete. Die Zusammenkunft war einigermaßen fröhlich, auch wenn es mir etwas schwerfiel, mich wirklich wohl zu fühlen. Alice und Esther fanden ihn sehr nett, sie waren begeistert von ihren Vettern.
– Die Kinder deiner Schwester?
– Meiner Halbschwester. Aurèle und Just.
– Just?
– Du hast Recht. Just ist ein komischer Name. Ich hätte gerne gehabt, dass meine Töchter zur Beerdigung kommen, aber es ist zu kompliziert, sie aus Glasgow herkommen zu lassen.
Louise zeigt mit dem Finger auf das Schild »La Roche-sur-Yon, 15 km«.
Thomas nickt.
– Ich habe ein hübsches Hotel in der Altstadt von La Rochelle reserviert, mit Meerblick. Wir fahren gleich nach der Beerdigung hin. Ist dir das recht?
– Absolut. Ich darf über Nacht bleiben. Ich habe gesagt, ich müsste einen Besuch bei einem Langzeitinhaftierten machen, in der Haftanstalt von Saint-Martin-de-Ré, wegen eines Revisionsverfahrens. Und das ist fast die Wahrheit.
– Wie soll ich dich vorstellen? Louise Blum? Oder nur Louise? Meine Gefährtin?
– Ja, Louise, das ist gut, denke ich. »Meine Gefährtin« finde ich auch in Ordnung. Schließlich fahre ich ja gerade mit dir. Und ich bin in Schwarz, wie es sich gehört.
– Dein Kleid steht dir sehr gut.
– Das ist ein Kostüm, du ungehobelter Klotz …
– Auf der D347 nehmen Sie die zweite rechts, sagt das GPS.
– Guck mal, fügt Louise hinzu.
Mit einer lebhaften Geste hebt sie den Rock. Oben auf dem nackten Oberschenkel erscheint eine karminrote Spitze mit grauen Stickmustern.
– Ich habe meine aufreizendste Wäsche angelegt. Um ehrlich zu sein, ich habe sie sogar extra für diesen … diesen Anlass gekauft.
– Großartig, mein Liebling. Sobald ich seinen Sarg sehe, werde ich es meinem Vater sagen.
Thomas legt seine Hand auf ihre Knie, streichelt ihre Beine und fährt hoch zwischen die Schenkel, die sich öffnen, um den Durchgang frei zu geben. Er drosselt die Geschwindigkeit, der Wagen schaltet zurück.
– Zum Glück habe ich einen Automatik geliehen.
– Biegen Sie jetzt rechts ab, sagt das GPS.
Thomas
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