Kein Wort mehr ueber Liebe
ich glaube, dann würde ich nicht zögern und mit Dir zusammenziehen.« Lächelnd, vielleicht aus Schamgefühl, zitiere ich Woody Allen: »Das Leben ist eine tödliche Krankheit.« Aber Du parkst schon ein, während mich Deine Worte noch verstören.
Ich ermesse die Tragweite Deiner Erklärung. Du sprichst hier nicht von der Dringlichkeit der Wahrheit, sondern von dem Anspruch auf Wahrheit, dem Du uns aussetzt. Ich verstehe plötzlich, was Dein Satz zwischen den Zeilen auch sagt: dass Du mit mir die heitere Gelassenheit einer illusorischen Ewigkeit verlassen würdest, in der die Tage nicht gezählt sind, um in eine ungewisse Welt einzutreten, in der alle Tage gezählt sind. Die Krankheit würde Dich endlich in jene Welt stürzen, in der die Zeit vergeht. Ich verstehe, was es ist, das ich Dir biete. Ich biete Dir, Angst zu haben.
DREIUNDZWANZIG
Winter. Ein Café gegenüber der
Scuola Musica
. Du hast mir Léa anvertraut, aber vielleicht ist es auch sie, die auf mich aufpasst. Sie will zunächst Memory mit mir spielen, dann, weil sie genug davon hat oder mir andere Spiele zeigen will, Bilderdomino. Sie trinkt eine heiße Schokolade, ich einen Kaffee. Wie üblich. Mir gefällt der Gedanke, dass wir beide, sie und ich, unsere Gewohnheiten haben. Sie rührt den Schaum mit dem Löffel um, ich achte darauf, dass nichts umkippt. Du hast Karl zu seinem Musikunterricht gebracht, kommst aber fast umgehend zurück.
Für Léa bin ich Mamas Freund Yves, der manchmal einen Koffer dabei hat, denn er fährt immer sehr weit weg. Ich weiß nicht, wie Du darauf kommst, aber Du fragst: »Wer ist der Wolf?« Das bin ich, antwortet Léa treuherzig. Dann fügt sie,entzückt von ihrem Geistesblitz, hinzu: »Mama ist Mama Wolf, und Yves ist Papa Wolf.« Du bist verlegen, aber auch verwirrt, Du korrigierst sie, holst den wirklichen Papa in die Dreieckskonstruktion zurück.
Ich sehe Léa noch vor mir, schelmisch, wie Du es manchmal bist, ihr Auflachen.
VIERUNDZWANZIG
Das ist eine Erinnerung an Erinnerungen. Du nimmst mich mit zu Dir, in Dein Schlafzimmer. Aus einem Schrank holst Du Pappschachteln hervor, die so groß sind wie Schuhkartons. Fotografien, jede Menge. Dann ziehst Du mich in die Küche, um sie mir besser zeigen zu können.
Das ist Dein Leben.
Du mit Deinem kleinen Jungen vorm Weihnachtsbaum. Deine kleine Tochter, die durch einen Garten trollt, den ich nicht kenne, ein anderes Bild, mit Deinem Mann. Du zögerst, dann zeigst Du mir noch mehr Fotos, von Deiner Hochzeit, glaube ich, aber ich bin mir nicht sicher. Ich werde kopfüber in Deine Welt gestürzt, werde überschwemmt von dieser Woge an Schnappschüssen aus Deinem gestrigen Leben, in dem ich keinen Platz habe. Ich verstehe, was Deine Geste bedeutet, den Wunsch nach Intimität, der hinter ihr steckt, aber ich ertrinke still und langsam unter dieser Flut von Bildern. Ohne dass Du es siehst, nehme ich unmerklich Abstand, um nicht zu ersticken. Du wühlst weiter in der Schachtel herum.Nach und nach holst Du Fotos von Dir heraus, die Du beiseitelegst. Du schenkst sie mir.
Ich weiß, wer sie aufgenommen hat, wen Du anlächelst, aber das ist plötzlich ohne Bedeutung. Was Du mir schenkst, bist Du selbst. Ich nehme das Geschenk an.
FÜNFUNDZWANZIG
Du kommst zu spät angerannt in dieses Restaurant am Flohmarkt von Saint-Ouen, wo wir uns seit ein paar Wochen jeden Montag treffen. Du nimmst mir gegenüber Platz, ich erkenne an der Fahrigkeit Deiner Bewegungen, dass etwas im Gange ist. Wie in einem schlechten Film – das sagt die Richtige: Du bist krank, irgendeine Infektion, von der Du nichts weißt, später wirst Du Dich selbst als »Riesenarsch« bezeichnen, ein Ausdruck, der sonst nicht zu Deinem Wortschatz gehört. Dein Blick will dem meinen ausweichen, Du empfindest keinerlei Liebe mehr für mich, alles Verlangen hat sich verflüchtigt. Du bist nicht die reine Wut, aber mich hat’s in Stücke gehauen.
Ein Abgrund tut sich auf. Ich stelle mir vor, auf immer eine untilgbare Schuld Dir gegenüber, Deiner Familie gegenüber, auf mich geladen zu haben. Du kennst das fast schon komische Ende der Geschichte, aber diese Erinnerung will nur diesen einen Moment erzählen, dieses Schwindelgefühl, diesen Umschlag, wo unsere heitere und leichtfüßige Geschichte plötzlich ins Hässliche, ins Schlammige kippt. EineBesudelung, das ist das Wort, das mir an jenem Tag in den Sinn kommt, aber ich spreche es nicht aus, aus lauter Angst, es könnte so treffend sein, dass es uns
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