Kein Wort mehr ueber Liebe
beschmutzt. Doch es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, es besetzt mein ganzes Denken, es hindert mich sogar daran, zu reden, als ich eigentlich reden müsste.
SECHSUNDZWANZIG
Der Wagen bewegt sich in Richtung Paris, ich fahre. Meine Hand hat sich zwischen Deine nackten Schenkel geschoben, das ist ein Ort, wo sie sich wohl fühlt. Nur wenige Minuten zuvor trugst Du noch eine Hose. Auf einem Rastplatz, an dem anzuhalten Du mir nicht zugetraut hattest, hast Du sie gegen ein Kleid getauscht. Meine Zärtlichkeiten werden immer präziser, die rechte Hand ist immer abenteuerlustiger, während die linke aufmerksam am Steuer bleibt. Deine Schenkel öffnen sich meinen Fingern, die weiter vordringen und sich amüsieren. Ich spiele mit Deiner Begierde, wie Du mit meiner spielst. In unseren Gesten liegt mehr Natürlichkeit als Provokation, mehr Staunen als Perversität. Dein ganzer Körper lächelt fröhlich dem meinen zu.
SIEBENUNDZWANZIG
In der Spielzeugabteilung des »Bon Marché«. Für Léa suchst Du nach einem Feenkostüm, für Karl nach irgendeiner Ausrüstung.
Du entfernst Dich nur wenige Meter, und ich beobachte Dich inmitten der Barbie® -Puppen, der Playmobil™-Garagen und der Lego™-Schachteln. Ich folge Dir die Regale entlang: Unschlüssig rufst Du den Vater Deiner Kinder an, um ihn um Rat zu fragen, und kaum hast Du wieder aufgelegt, soll ich Dir meine Meinung sagen. Das tue ich, und staune, was für ein intimer Fremder ich für Dich bin. Du lässt mir die Tür zu Deinem Leben einen Spalt weit offen, und ich, verloren inmitten all der Plüschtiere, werfe einen zärtlichen, leicht bitter-süßen Blick hinein.
ACHTUNDZWANZIG
»Pass gut auf dich auf.« Das sind die Worte, mit denen Du Dich verabschiedest. Wirklich verabschiedest. Wir stehen neben Deinem Auto gegenüber der Gare de l’Est, dem Ostbahnhof. Es ist Dezember, das Wetter ist sehr schön.
Du hast, nur wenige Minuten zuvor, die Sätze gesprochen, die es uns unmöglich machen, weiter in der Leichtigkeit vergangener Tage zusammenzubleiben, Sätze, die mich zwingen, Dir zu sagen, dass ich gehe. Du willst, dass ich das Notwendige zu tun weiß. Dich jetzt nicht zu verlassen hieße,Dich zu verlieren. Deswegen verlasse ich Dich – um mir die Chance zu bewahren, Dich wiederzufinden.
»Pass gut auf dich auf«: die Worte, die ein Vater zu seinem Sohn spricht, bevor er aufbricht, bevor er stirbt. Sie bedeuten, dass Du nicht mehr da sein wirst, um über mich zu wachen. Aber hast Du je über mich gewacht? Du gehst auf den Twingo zu, Du drehst Dich um. Dann ein Blickwechsel, ein einziger, und plötzlich rebelliert Dein Körper, er stürmt auf mich zu, drückt mich an sich. Ich sauge seinen Duft, seine Wärme in mich auf, es ist nur kurz, Du wehrst Dich und Du trennst Dich wirklich von mir. Der Wind verscheucht die Süße Deines Parfüms, es bleibt mir nichts von Dir, als der Wagen anspringt und sich entfernt. Ich wende mich ab, bewege mich mechanisch Richtung Autobus, der mich nach Hause bringen wird.
Geradezu automatisch überquere ich die Straße, wobei ich auf den 3 1-er aufpasse, der vorbeirauscht: Ich habe keinerlei Lust zu sterben, der Schmerz macht mich unglaublich lebendig.
NEUNUNDZWANZIG
Hier die neunundzwanzigste Erinnerung. Ich liefere Dir, was eine kurze, fiebrige Nacht des Schreibens hervorgebracht hat. Denk nach: eine kleine Blechdose, sie war gestohlen, denn Du hattest sie in Deiner Tasche versteckt. Ich schenkte sie Dir vier Tage nach unserer ersten Begegnung. Sie enthielt
»Sechsundzwanzig
ganz kurze Augenblicke für uns«
, jeder gedruckt auf einem Papier, das nicht größer war als ein Métro-Ticket. Einer von ihnen lautete, damals schon:
Ich hab’s gezählt. Dreimal
Sind wir uns begegnet. Kaum zu glauben.
Glaubst Du, dass das alles nur Traum ist?
Dass nichts wahr ist?
DREISSIG
Der Twingo ist zweieinhalb Millionen Mal verkauft worden, davon eine Million Mal in Paris und Umgebung. Und jeder dritte Twingo ist schwarz (ich hab’s nachgeprüft). In einem solchen fast schon unsichtbaren Modell fahren wir über die Place de la Concorde. Es ist Nacht, es regnet, die Fenster der Autos sind beschlagen. Ich versuche, Deinen Hals zu küssen. Du protestierst, sehr heftig. »Ich kenne hier fast jeden.«
EINUNDDREISSIG
Ein Unfallbericht, dessen Fotokopie ich sorgfältig aufbewahre. In der Rue Pouchet im 17. Pariser Arrondissement, auf Höhe der Passage Berzelius, hast Du abrupt gebremst, und der Wagen hinter Dir ist aufgefahren. Auf der
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