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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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Vorderseite desBerichts hast Du in der Zeile »Unfallhergang« noch unter Schock geschrieben: »Mein Fahrzeug (d. h. A) hat abgesoffen …«
    Später zeigst Du mir das Formular, Du wirst über die Streichungen und den Grammatikfehler lachen. Manchmal, sogar ziemlich oft, lese ich diesen Bericht und muss gleich lächeln. Du, die Du immer so richtig liegst in Deinen Handlungen, die Du stets so genau bist bei der Wortwahl, lässt Dich leicht von den Wechselfällen des Alltags überwältigen. Was dieser Bericht bewahrt, das ist die Reibspur Deiner Begegnung mit der Welt.
    ZWEIUNDDREISSIG
    Du nimmst ein (sehr heißes) Bad bei mir. Ich setze mich neben Dich, auf die Holzstufe, ich tauche meinen Arm bis zum Ellbogen ins Wasser, bis meine Hand Dich berührt. Es ist eine Instinkthandlung, ich beherrsche meine Gesten Dir gegenüber nur schlecht. Schon das Sprechen verlangt mir einige Konzentration ab. Meine Finger gleiten über Deine Brüste, Deine Hüften, streicheln über Deinen Bauch bis hinunter zum Geschlecht. Ich küsse Dich, und Deine Lippen öffnen sich, Deine Zunge spielt mir der meinen, Du schließt die Augen. Furchtlos und doch respektvoll fährt der Mittelfinger sanft über Dein Geschlecht und zwischen die Pobacken. Ich sauge diesen Moment in mich auf, denn ich ahne bereits, dass diese sinnliche Erinnerung ins Gedächtnis des Tastsinnseingehen wird, dass sie für immer den Worten entgleiten wird, die sie zu fassen suchten.
    DREIUNDDREISSIG
    Das Telefon vibriert: eine SMS. Ich schaue auf die Uhr, und ich weiß, dass Du sie auf dem Kennedy Airport eingegeben hast, wo Du in den Flug Nummer AF544 New York – Paris einchecken musst. Von Panik ergriffen, bevor Du in die Boeing steigst, schreibst Du mir: »Flls ws passiert ich lass dir meine 2008 Hefte.« Respekt vor der Rechtschreibung. Mir kommt ein Lächeln auf die Lippen, und ich antworte Dir: »Du bist verrückt. Aber ich möchte, dass Dir was passiert.«
    In einer Novelle von Virginia Woolf stirbt eine Frau bei einem Unfall. Selbstmord? Ihrem Ehemann hinterlässt sie als Erbe (
Das Erbe
ist übrigens, glaube ich, der Titel der Novelle) ihr Tagebuch. Er entdeckt darin die Existenz eines anderen Mannes, der, je weiter er in der Lektüre fortschreitet, immer präsenter wird. Er macht sich auf die Suche nach jenem Mann und, vor allem, seiner Frau.
    Wenn Dir etwas zustoßen würde, wie könnte ich es dann wagen, Deine Hefte einzufordern? Ich kann es mir nicht vorstellen, und doch würde ich es tun. Du bietest mir den Stoff für ein Theaterstück: Ein Mann klopft an die Tür eines anderen, der in Trauer ist. Sie kennen sich nicht. Der erste sagt ganz einfach: »Ich bin gekommen, um Sie um die Notizbücher Ihrer Frau zu bitten, diejenigen, die sie im Laufe diesesJahres geführt hat. Wir haben uns geliebt. Sie hat sie mir geschenkt.«
    VIERUNDDREISSIG
    Ein Freitagnachmittag an der Porte de la Chapelle, es ist fast vier Uhr, ich steige in Dein kleines Auto, und wir fahren die Schulen Deiner Kinder an. Du bist zu spät dran, was sonst.
    Alle diese Fahrten – wie viele waren es, zwanzig, dreißig? – vermischen sich in meinem Gedächtnis zu einem bunten Mosaik. In all diesen Monaten haben wir blaue Himmel, graue Himmel gehabt, strömenden Regen, Sommersonne. Du hast Jeans getragen, schwarze Kleider, weiße Röcke, Wollpullover und leichte Blusen, Dir ist es zu warm gewesen, Dir ist es sehr kalt gewesen. Aber immer war es dieselbe lärmige und verstopfte Rue Saint-Martin, immer war Dein schwarzer Twingo voller Papiere die Kulisse. Unsere Unterhaltungen drehten sich um alles und nichts.
    Eine Stunde. Jeden Freitag. Ich lächele.
    FÜNFUNDDREISSIG
    Florenz. Ich bin dort für eine Lesung, es ist mir gelungen, Dich mitzunehmen. Zwischen all den Postkartenerinnerungen und den anderen, intimeren, wähle ich ein Abendessenin einem schicken, volkstümlich eingerichteten Restaurant, von denen es so viele in dieser Stadt gibt.
    Wir sitzen nebeneinander, Du sprichst mit Luciana, der jungen blonden Frau, die Dir gegenüber sitzt. Ich drehe mich von Zeit zu Zeit zu Dir um, und Luciana lächelt gerührt über diesen Blick, der besagt, dass ich auf Dich Acht gebe. Sie erkennt darin die aufmerksame Sanftmut im Blick ihres Mannes wieder, wenn es sein Beruf als Bankier mit sich bringt, dass er sie zu Abendessen mit Kunden ausführt, bei denen sie sich, wie er fürchtet, langweilen könnte. Auch Du lachst, und weil sich zwischen Euch freundschaftliche Bande knüpfen, sprichst Du von Deinem

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