Kein Wort mehr ueber Liebe
schnell in eine Vase steckt. Eine Herzdame, die Karl gemalt hat … Anna will ein Päckchen mit Sternchenpapier auspacken, aber Karl und Léa protestieren, verlangen, dass sie es erst ganz am Ende öffnet. Sie lächelt. Ein kleines Teeglas. Ein Ritter aus Plastik, »um sie zu verteidigen«, wie Léa erklärt …
Ein Päckchen ist anders als alle anderen, kleiner, regelmäßiger und auch kostbarer verpackt. Sie hat es gesehen,will den Moment hinauszögern, aber Stan schiebt es mit dem Finger zu ihr hin.
– Mach es auf, sagt er. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Liebes.
Anna weiß, dass es ein Schmuckstück ist, gewiss ein Ring, gewiss ist er prächtig, gewiss ist er wahnsinnig teuer. Sie schaut ihren Mann mit glänzenden Augen an und schüttelt den Kopf.
– Danke, haucht Anna. Das solltest du doch nicht, Stan. Du weißt auch sehr gut, warum du das nicht solltest. Das kann ich nicht annehmen, du lockst mich in die Falle. Das solltest du nicht tun.
– Still. Es ist ein Ring, keine Kette, kein Vorhängeschloss. Ich kaufe dich nicht. Das weißt du doch.
– Das Geschenk von eurem Papa mache ich später auf, Kinder.
Anna öffnet weiter die Päckchen aus Krepppapier. Um Karl und Léa nicht zu enttäuschen, lässt sie sich Zeit, aber ihr ist jede Freude vergangen, plötzlich lastet jede Sekunde schwer auf ihr. Ist dies das letzte Mal, dass sie ihren Geburtstag so im Kreise der Familie feiert? In zwei Monaten wird Karl acht. Kann sie von ihm verlangen, seinen Geburtstag ohne seinen Vater zu feiern und dann ohne sie? Annas Hände zittern.
Das wichtigste Paket ist das letzte, rufen die Kinder. Sie reißt den scharlachroten Umschlag auf und findet darin ein weißes Blatt.
Léa hat die Randverzierungen gemalt, Karl hat seine Sätze mit bunten Filzstiften geschrieben.
Der Brief beginnt mit »Liebe süße kleine Mama«. Es ist ein vollkommen banaler Kinderbrief, aber jedes Wort stichtAnna ins Herz. Sie liest ihn langsam, zuerst laut, dann leiser, dann im Stillen. Als sie ihn zu Ende gelesen hat, drückt sie die Kinder fest an sich. In dem Brief steht eine Frage, die sie unter Tränen beantwortet:
– Aber natürlich werde ich euch nie verlassen, meine kleinen Lieblinge. Ihr seid der größte Schatz, den ich hab im Leben. Der größte Schatz in meinem Leben.
THOMAS UND JUDITH
Der Wind weht durch Louises blondes und weißes Haar, das sie nun wachsen lässt. Es ist ein sehr milder Wintertag an der normannischen Küste.
– Komm uns helfen, Mama, sagt Maud, Judith und ich graben ein Loch bis zum Wasser.
Thomas blinzelt im Sonnenlicht. Louise rollt sich mit ihren Töchtern im Sand, alle drei machen ihm Handzeichen. Hinter jeder von Louises Bewegungen erahnt Thomas hingerissen das verschmitzte Mädchen, das er nie gekannt hat.
Judith rennt auf ihn zu, sie möchte eine Waffel, sie nimmt ihn bei der Hand und schleift ihn zur Crêperie. Weil Thomas ihr »das Leben gerettet hat«, betrachtet die Kleine ihn nun, in maliziöser Umkehrung der Logik, als ihr Eigentum. Sie wünscht sich eine Waffel mit Zucker.
Als Maud und Louise zu ihnen stoßen, fragt Judith:
– Thomas, wie hast du Mama kennengelernt?
Judith senkt dabei nicht den Blick, sie will es wissen. Ihre Wange ist ganz weiß vom Zucker. Thomas wischt ihn mit der Serviette ab. Maud hört aufmerksam zu.
– Ich überlasse es dir, es ihnen zu erklären, sagt Louise.
Erzähle es ihnen vor allem genau. Ich komme sofort zurück. Und bestell mir bitte einen Tee.
Thomas erzählt auf seine Weise. Er versucht, präzise zu sein, er spricht vom ersten Abend, dem ersten Mailwechsel, er erzählt sogar vom Leguan auf den Galapagos, dessen Skelett schrumpft, wenn er nicht genug zu essen hat. Aber Judith interessiert sich überhaupt nicht für das Reptil.
– Und du hast dich sofort in Mama verliebt?
– Ich glaube, ja, lächelt Thomas, und korrigiert sofort: Ich bin sogar sicher.
– Und du wusstest von Papa?
– Ja, antwortet Thomas genauso offen, wie die Frage gestellt war.
Louise ist zurück, sie nimmt seine Hand:
– Wisst ihr, meine Süßen, ich hab euch ja gesagt, es gab viele Dinge, die zwischen eurem Papa und mir nicht mehr stimmten. Wir waren einmal sehr glücklich zusammen, und der Beweis dafür ist, dass es euch beide gibt, aber seit ein paar Jahren waren wir nicht mehr glücklich, auch wenn man das nicht so sehen konnte. Und dann habe ich Thomas kennengelernt, ich habe mich ganz schrecklich in ihn verliebt – ja, trotz seiner grauen Haare, ich
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